Den Krieg verschweigen?
Im russischen Petersburg treffen sich nächste Woche Museumsmacher zu ihrer internationalen Tagung - die meisten davon aus Deutschland. Die "SZ" fragt, ob diese Russlands Vorgehen in der Ukraine ignorieren können.
"Wie viel Krieg kann man totschweigen?",
fragt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG vor dem Museumstreffen am kommenden Dienstag in Petersburg. "Museen und Macht" heißt die Tagung des Internationalen Museumsrates in Zeiten, da die Nachrichten aus der Welt beunruhigen: In Donezk wurde das einzigartige Landeskundemuseum zerstört, Museen geraten in Kriegszeiten immer wieder zwischen die Fronten.
"Nur, diese brisanten Fälle stehen in Sankt Petersburg nicht auf der Tagesordnung. Das ukrainische Icom-Komitee boykottiert die ganze Veranstaltung, auch aus dem Baltikum ist kein Redner dabei, ebenso aus Polen, Tschechien, Georgien und Weißrussland."
Am stärksten werden die Deutschen mit 64 Museumsleuten vertreten sein, aus den USA kommen 20. Die SZ zitiert den Gründungsdirektor des Museums der Geschichte Polnischer Juden in Warschau, Jerzy Halberstadt, der sagt:
"Jetzt nach Petersburg zu fahren wäre ein bisschen so, als wäre man während des Anschlusses Österreichs nach München gefahren, um Museumsangelegenheiten zu besprechen, oder nach Leningrad, während die Rote Armee im Winterkrieg Teile Finnlands annektierte."
Michael Henker, Präsident der deutschen Icom-Sektion, kontert:
"Wenn wir Museumsleute in Krisenzeiten aufhören, miteinander zu sprechen, dann senden wir ein falsches Signal an die Politiker."
In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG registriert Ulrich M. Schmid:
"Putins Außenpolitik gegenüber der Ukraine spaltet die russischen Kultur-schaffenden."
Die Zeitung erinnert:
"Die Schriftsteller sollen als moralische Instanz eine 'zweite Regierung' sein, forderte Solschenizyn mutig in den 70er Jahren. Heute ist es wieder so weit."
Aufbegehren gegen und Schützenhilfe für Putin
Die deutlichsten Worte zur derzeitigen Lage fand Ljudmila Ulitzkaja.
"Der heutige russische Staat gleiche einer Krebsgeschwulst, die ihre Metastasen bis in die Kultur hinein ausbreite. „Ich schäme mich für uns alle, für meine aggressive Regierung, für mein ungebildetes Parlament, für unser Volk, das seine moralische Orientierung verloren hat. Leb wohl, Europa, ich fürchte, wir werden nie zur europäischen Völkerfamilie gehören."
Das Aufbegehren einzelner Autoren ist das Eine, gleichzeitig äußern sich mit pathetischen Apologien die Dienstschriftsteller.
"So bekommt Putin Schützenhilfe vom Lyriker Juri Kublanowski"im Regierungsblatt "Rossijskaja Gaseta".
Mit unverhohlenem Antiamerikanismus antwortet er Ulitzkaja:
"Schicken unsere Politiker denn märchenhafte Geldsummen für Propaganda in die historisch aufrührerische Westukraine? Hat sich denn nicht der Westen entschieden, Russland wie einen ungehorsamen Schüler mit beleidigenden und dummen Sanktionen zu bestrafen? Wer entfesselt denn einen neuen Weltkrieg?"
Ganz anders wiederum der Bestsellerautor Boris Akunin. Er beklagt in seinem Live-Journal,"dass Russland sich in einen tiefen Graben hineinmanövriert habe. Meinem Land stehen schwere Prüfungen bevor", warnt Akunin, "wahrscheinlich schwerere als jene in der Ukraine heute".
Auf die Frage eines Lesers, warum er denn nicht auswandere, antwortet er:
"Jeder hat sein eigenes Russland. Mit Putins Russland habe ich aber keine Berührungspunkte. Und in der Zeit einer allgemeinen Verstandestrübung hier zu sein, fällt mir schwer. Einem Nüchternen ist es nicht wohl unter einem Dach mit einem Betrunkenen."
In einem Interview legt der Generalsekretär des Goethe-Instituts, Johannes Ebert, in der Tageszeitung TAZ dar, wie deutsches Kulturengagement in Krisenländern aussieht. Er sagt:
"Der Bundestag hat in diesem Jahr bereits fünf Millionen Euro an Sondermitteln zur Verfügung gestellt, um in Weißrussland, Ukraine, Georgien oder Moldawien die Zivilgesellschaft zu stärken. Wir werden in der Ukraine unsere Aktivitäten auch personell erweitern. Seit dem Ende der Sowjetunion und der Unabhängigkeit befindet sich das Land in einem Transformationsprozess. Wir helfen organisatorisch oder bei Diskussionen, wenn es um die zukünftige Entwicklung der Ukraine in Europa geht."