Aus den Feuilletons

Der Krake Houellebecq

Porträtfoto des französischen Autors Michel Houellebecq, der am 19.01.2015 in Köln seinen Roman "Unterwerfung" im Rahmen des internationalen Literaturfestival Lit.Cologne vorstellt.
Vergleich mit dem orakelnden Kraken Paul: Für "Die Welt" ist der Schriftsteller Seismograph unserer Gesellschaft. © dpa / picture alliance / Horst Galuschka
Von Arno Orzessek |
"Die Welt" vergleicht den Schriftsteller Michel Houllebecq mit dem Kraken Paul, der während der Fußball-WM 2010 zahlreiche Spielergebnisse korrekt voraussagte: Houellebecq sei "Orakel und Seismograph" unserer Gesellschaft. Und seine Prosa zeige eine aufrichtige Form von Liebe.
Womöglich wird der Autorin das Adjektiv "süß" nicht gefallen…
Aber wir finden Hannah Lühmanns Bericht von ihrem Treffen mit Michel Houellebecq nun einmal genau so - eben süß.
Wie übrigens auch die drei Selfies, die Lühmanns und Houellebecqs Gesichter in der Tageszeitung DIE WELT zweimal in guter Laune und einmal im Ernst zeigen.
"Der Schriftsteller Houellebecq",so Lühmann, "ist dem zeitgenössischen Intellektuellen dieser Tage ein bisschen, was die Krake Paul dem Fußballfan während der Weltmeisterschaft war. Er ist Orakel und Seismograph einer deutsch-französischen Gesellschaft, die gerade dabei ist, die Angst als Dauerzustand wieder zu entdecken."
Dass es nicht die Krake, sondern der Krake Paul heißen müsste und die von Paulschen Orakeln begleitete Weltmeisterschaft die vorletzte war und nicht die letzte, wie insinuiert – geschenkt!
"Die Liebe, zu der seine Prosa in der Lage ist"
Lühmann sitzt da also mit dem Kraken Houellebecq – doch der will nicht orakeln, schon gar nicht über Politik. Und das, obwohl seine Gesprächspartnerin ausweislich der Selfies eine – um in Kraken-Sprache zu reden – begehrenswerte junge Frau mit schönen Zähnen und ganz enormem Ober- und vor allem Unterlippenschwung ist. Aber was sagt Houellebecq dann doch, als wär's ohne Hintersinn?
"Vor allem habe er Lust gehabt, eine Sexszene zu schreiben", erzählt Lühmann und führt die Szene aus dem Roman "Unterwerfung" sogleich näher aus:
"[Sie] ist einerseits so eine typische Houellebecq-Sexszene. Myriam leckt Francois zuerst lange und zärtlich die [...]" – an dieser Stelle, liebe Hörer, ertönt, piep, der grelle Piepton öffentlich-rechtlicher Anständigkeit… Und übertönt den Fortgang der Szene. Nachher, nach dem Lecken und so, hält Lühmann indessen jugendfrei fest:
"Es gibt Leute, die behaupten, Houellebecqs Prosa sei frauenfeindlich, aber wenn Houellebecq schreibt, die Liebe eines Mannes zu einer Frau sei eigentlich nur die Entsprechung zu dem Vergnügen, das sie ihm bereitet habe, scheint darin, so komisch es ist, wirklich die aufrichtige Form von Liebe durch, zu der seine Prosa in der Lage ist."
Prosa also, die aufrichtig liebt! Ach, liebe Hannah Lühmann, manches Wort könnte nachjustiert werden – und doch ist Ihr Text süß.
Die Lage ist brenzlig
Grausam war der Anschlag auf das Satire-Magazin "Charlie Hebdo". Und deshalb fragt Andreas Zielcke in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG noch einmal: "Was soll Satire? Was darf sie?"
"Satire", so Zielcke, "ist der performative Selbstwiderspruch par excellence. Sie soll der Macht die Wahrheit ins Gesicht sagen, sie soll dies aber nicht auf sachliche Art tun, sondern als Angriff. Sie darf und soll verletzen, obszön sein, verkürzen, übertreiben, lächerlich machen, respektlos sein, ironisieren, verstören, unfair attackieren […]. Der demokratische Gewinn einer solchen Lizenz zur verantwortungsfreien rhetorischen Aggressivität ist nicht zu überschätzen. Vorausgesetzt allerdings, man behält die Prämisse im Auge, dass es die Waffe der Wahrheit gegen die Macht ist",
betont SZ-Autor Zielcke. Der, um es kurz zu machen, daran zweifelt, dass Satire beliebig nach unten treten und jene verunglimpfen darf, die ohnehin am Boden liegen.
Als Scharfrichter über die arabischen Reaktionen auf den Terroranschlag von Paris tritt in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG der irakische Schriftsteller Najem Wali auf:
"Nur wenige unter den Autorinnen und Autoren verurteilten die Anschläge vorbehaltlos oder pochten gar auf eine Mitverantwortung der arabischen Welt. […] Wenn eine Karikatur (die schließlich niemanden umbringt) die 'Gefühle der Gläubigen' dermaßen angreift, warum lässt es diese dann kalt, dass islamistische Extremisten in Syrien, im Irak, in Nigeria, in Pakistan und anderswo unzählige Menschen auf grausigste Art und in aller Öffentlichkeit ermorden?",
fragt NZZ-Autor Wali – und wir fragen zurück: Hat das eine, die verletzten religiösen Gefühle, wirklich etwas mit dem anderen zu tun – also mit der unterstellten Kälte gegenüber islamistischen Morden?
Es sei so oder so: Die Lage ist brenzlig, und vielen wird's schwer ums Herz. Indessen mag es sie trösten, dass der Berliner TAGESSPIEGEL titelt:
"Ein Herz, das lässt sich reparieren."
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