Aus den Feuilletons

Der Liebescode und andere Rätsel

Auf der Suche nach der Liebesformel
Auf der Suche nach der Liebesformel © dpa / pa / Constantini
Von Adelheid Wedel |
Die "taz" ist besorgt über die Frage "Wie viele Akademiker brauchen wir?" und die "NZZ" will die Liebe berechnen. Außerdem: Ein Bericht über eine ganz neue Spielart der Demonstration in Westsibirien.
"Bildung ist der Schlüssel zum Erfolg. Darin sind sich Putzfrau und Professor einig",
lesen wir in der Tageszeitung TAZ und sind erfreut darüber, dass es in unserer Welt doch hin und wieder zu einem Konsens kommt. Der Artikel von Anna Lehmann beginnt mit der einschränkenden Frage:
"Aber wie viele Akademiker brauchen wir?"
Angesichts der vielen Bildungsaufsteiger – "ist das Ideal vom Aufstieg durch Bildung wirklich noch intakt?" fragt die Autorin. Sie hat herausgefunden: "ein akademischer Titel gilt als Versicherung gegen Arbeitslosigkeit oder Schufterei im Niedriglohnsektor."
Zitiert wird einer, der nicht an das große Versprechen der Akademisierung glaubt: Julian Nida-Rümelin, Philosophieprofessor in München und Staatsminister a. D. Er hat seine Argumente in dem Buch "Der Akademisierungswahn“ aufgeschrieben und nennt die gegenwärtige Entwicklung auf dem Bildungssektor "einen gefährlichen Weg". Seine These:
"Das deutsche Erfolgsmodell ist nicht das Studium, sondern die duale Ausbildung. Theorie in der Berufsschule, Praxis im Betrieb. Andere Staaten beneiden Deutschland darum", sagt der Professor.
"Über 330 Berufe kann man auf diesem Weg in Deutschland erlernen."
Das Vorzeigemodell sei in Gefahr, weil alle studieren wollen. Und wenn es so weitergeht, wer bäckt dann noch die Brötchen, wer schraubt die Autos zusammen, wer eröffnet uns das Sparkonto, wundert sich die Autorin.
Von den Möglichkeiten und Grenzen der Mathematik
Ist es auch eine Frage der Bildung: Kann man Liebe errechnen? Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG stellt eine steile These auf:
"In dem Roman 'Die Wahlverwandtschaften' tüftelt Goethe am ersten Liebescode und beweist 200 Jahre vor der Erfindung des Online-Dating-Prinzips: Leidenschaft widersetzt sich der Mathematik."
Tomasz Kurianowicz seziert aus diesem Blickwinkel Goethes Roman und erläutert:
"Bis heute betrachten wir das Sich-Verlieben als einen zufälligen Prozess."
Goethe aber habe sich den Kopf darüber zerbrochen, "wie man in einer modernen Welt, die von Katastrophen und Zufälligkeiten angetrieben wird, das Leben verlässlich planen und vorhersagen kann."
Das gilt insbesondere für die Liebe. Goethe leitet die Frage "Wie und wo findet man den richtigen Partner?" an die damals neuen Disziplinen der Naturwissenschaften weiter. Das Erstaunliche an den Wahlverwandtschaften ist, erklärt der Autor: "Goethe antizipiert die Lösung des Problems, indem er von der "Rationalisierung der Liebe spricht, ganz wie beim heutigen Online-Dating."
Dem Suchenden werden nach mathematischen Berechnungen passende Partnerkandidaten vorgeschlagen. Der Erfolg bleibt fraglich, denn "der Alltag beweist es, Partnerschaften, die auf ungleichen Interessen, Berufen, Sozialisationen, Geburtsjahren oder Einkommen basieren, können ebenso gut funktionieren wie auf Äquivalenzen fußende Verbindungen."
Niemand scheint den Liebescode wirklich zu kennen, bis heute.
Und wie knackt man den Code, der den Künstler Artjom Loskutow von einer sibirischen Republik träumen lässt? Barbara Kerneck hat den russischen Künstler in Berlin getroffen und sprach mit ihm in der TAZ über eine Protestform, die er erfand, über Ironie und Moskaus Zustand.
"Russland stagniert nicht", sagt Loskutow, "es bewegt sich rückwärts".
Dagegen versucht er etwas zu tun.
"In Nowosibirsk, der drittgrößten Stadt Russlands, findet jeden 1. Mai eine Monstration statt, eine Mischung aus Demonstration und Monstranz. Wochenlang schneidern Teilnehmer Kostüme, manche ziehen dann als Pyramide, Kugel oder Würfel durch die Straßen mit Parolen, die keiner braucht. 'Katzen züchten hält gesund' oder 'Tanja, weine nicht'."
Seit elf Jahren geschieht das "in mehr als 15 Städten Sibiriens, zuletzt auch in Moskau und auf der Krim. So etwas wie lebendige Demonstrationen kannten wir seit Jahrzehnten nicht", so Loskutow.
"Über einen Dialog zwischen uns und den Machthabern dürfen wir uns keine Illusionen machen."
Deswegen sagen wir: "Wir sind hier. Ihr gefallt uns nicht. Aber wir verstecken uns nicht. Zeigt uns nicht, wo’s lang geht, sonst zeigen wir’s euch."
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