Der Märchenerzähler und sein Kopist
Er sei "eine Witzfigur" mit "offensichtlichen Frisurproblemen" und einem "gestörten Verhältnis zu Wahrheit" urteilt die "Taz" über Silvio Berlusconi. Die Zeitung stellt fest: Mit Donald Trump sei ein würdiger Nachfolger auf der Politbühne erschienen.
Beginnen wir mit dem runden Geburtstag eines berühmt-berüchtigten Lebemanns und Machos.
"Das Original wird 80", überschreibt die TAGESZEITUNG ihre kritische Würdigung – und deutet damit an, dass irgendwo auch eine Kopie des Geburtstagskinds herumläuft. Wir könnten jetzt natürlich verraten, um wen es geht, geben jedoch unserer verspielten Stimmung nach und Ihnen, liebe Hörer, ein übersichtlich komplexes Rätsel auf.
Es lautet: Auf welche weltbekannte Kopie spielt der TAZ-Autor Michael Braun an, wenn er über das weltbekannte Original schreibt:
"Eigentlich ist er eine Witzfigur. Ganz offensichtlich sind seine Frisurprobleme, und ebenso deutlich sein gestörtes Verhältnis zur Wahrheit. Wann immer der notorische Lügner den Mund aufmacht, entstellt er Fakten, betätigt sich als Märchenerzähler, verbreitet er über Gegner und Kritiker wüste Geschichten, die ebenso ehrabschneidend wie frei erfunden sind."
Richtig! Von Silvio Berlusconi ist hier die Rede, ehemals italienischer Ministerpräsident. Und der nach Ansicht der TAZ in Silvios Fußstapfen zu treten sich anschickt, ist selbstredend Donald Trump.
Für alle, die Trump nach dem ersten, für ihn recht unerfreulichen TV-Duell mit Hillary Clinton bereits im Orkus der Peinlichkeit versinken sehen, sei mit TAZ-Autor Braun an den einstigen Coup von Berlusconi erinnert:
"Was haben seine Gegner damals gelacht, was haben sie gelästert über die dick aufgetragene Schminke, über die gefärbten Haare, die wie asphaltiert am Kopf klebten. Doch nur zwei Monate später gewann Berlusconi die Wahlen."
Nun wollen wir uns nicht länger bei den toll-dreisten Polit-Zwillingen Trump und Berlusconi aufhalten, wohl aber noch kurz das Bild-Management der TAZ loben.
Unter ein Foto, das Berlusconi ganz wunderbar ekelig-obermafiös mit echt krasser Massenmörder-Sonnenbrille und schlüpfrig-keckem 'Ich kauf mir die geilsten jungen Luder'-Grinsen zeigt, setzt die TAZ die mitfühlende Unterschrift:
"Die Sonnenbrille trägt er wegen eines Augenleidens. Er hat schließlich nichts zu verbergen."
Houellebecq unterläuft das Klischee
"Faszinierend", urteilt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG. Und zwar über den Auftritt des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq anlässlich der jüngsten Verleihung des Frank-Schirrmacher-Preises.
"Wir hörten und sahen einen Intellektuellen, der viel Energie in den Eindruck investiert, keiner zu sein und alle Klischees dessen zu unterlaufen, was zumindest einen französischen Intellektuellen auszeichnet. Sprachvollendung, Rhetorik, Analytik, Eleganz des Auftritts, Stil. Es ist eine beträchtliche Leistung, das alles zu vermeiden und zwar so perfekt, dass nicht einfach etwas Stilloses dabei herauskommt, sondern ein Rätsel, das alle beschäftigt."
So FAZ-Autor Jürgen Kaube über Michel Houellebecq.
Rotknutschmündig und wogebusen-betont
Bevor unsere Presse- zu einer astreinen Männerschau wird, rasch zu Margarete Stokowski, Kolumnistin bei SPIEGEL ONLINE und Ex-Kolumnistin der TAZ.
Unter dem Titel beziehungsweise Untertitel "Aus die Maus. Warum der Feminismus immer noch gebraucht wird" bespricht Nadine Lange im Berliner TAGESSPIEGEL Stokowskis Buch "Untenrum frei".
Das begleitende Foto zeigte Stokowski so rotknutschmündig und obenherum wogebusen-betont, dass man sich die Kommentare der Trumpusconillebecqs dieser Männerwelt leicht zusammenreimen kann.
Umso mehr empfehlen wir Nadine Langes Machismo-ferne Befassung mit "Untenrum frei."
Wer dagegen Artikel bevorzugt, die relevante Themen ohne Gender-Faktor, Sex-Appeal und Glamour wälzen, wird "Wer wir sind" genießen. So heißt ein Aufsatz von Andreas Zielcke in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, dessen unstrittige Generalthese lautet:
"In ganz Europa fürchtet man um die jeweilige nationale Identität – und die Angst macht aus der Kultur ein Kampfinstrument."
Wer den National-Komplex weiter vertiefen will, lese in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG "Engelsgleiche Seele in einem derben Schädel" über die Wiederkehr der politischen Romantik in Polen.
Ein starkes Stück - auf das wir leider nicht näher eingehen können, weil uns nur noch die Zeit für ein einziges Wort bleibt: Tschüss!
*In eigener Sache: Anlässlich einer Besprechung von Margarete Stokowskis Buch "Untenrum frei" beschreibt unser Autor Frau Stokowski als "rotknutschmündig und obenherum wogebusen-betont". Damit wollte er einen Machismo karikieren, den er zuvor schon in dieser Ausgabe der Kulturpresseschau thematisiert hatte. In seiner konkreten Formulierung ist eine ironische Distanz allerdings nicht eindeutig zu erkennen, sondern sie klingt sexistisch. Deutschlandradio Kultur bedauert diese Formulierung und bittet Frau Stokowski sowie unsere Hörerinnen und Hörer, Userinnen und User um Entschuldigung.