Aus den Feuilletons

"Der Mann mit den ängstlichen Augen"

Von Gurlitt selbst existieren fast keine Bilder - hier sein Türschild in Salzburg.
Von Gurlitt selbst existieren fast keine Bilder - hier sein Türschild in Salzburg. © dpa / Barbara Gindl
Von Hans von Trotha · 06.05.2014
Seine Gemäldesammlung beschäftigte die Kunstinteressierten in aller Welt. Nun ist der Kunstsammler Cornelius Gurlitt überraschend verstorben. Die Feuilletons sinnieren darüber, was er mit ins Grab nimmt, und über seinen letzten Willen. Und die "FAZ" wartet mit einer weiteren Entdeckung auf.
Das Feuilleton lebt von Funden. Der Feuilleton-Fund der letzten Jahre war die Sammlung Gurlitt. "Die hätten doch", hat der alte Mann einmal im Interview gesagt, "warten können mit den Bildern, bis ich tot bin." Nun ist er tot. "Der Mann mit den ängstlichen Augen" nennt ihn die WELT und hat ein passendes Foto dazu. Man merkt dem Blatt ein bisschen an, wie ungern man dem Fall Gurlitt die Pole-Position im Feuilleton geräumt hat.
Da hätte eigentlich ein eher nüchternes Buch, nämlich Hans Mommsens neues Werk "Das NS-Regime und die Auslöschung des Judentums in Europa" ziemlich sensationsfreudig inszeniert werden sollen: Hitler beugt sich über die Pläne von Auschwitz, darunter fett die Schlagzeile: "Den einen Plan zum Holocaust gab es nicht".
"Er nimmt alles mit ins Grab"
Aber auch zu Gurlitt weiß die WELT mehr als andere. Annegret Erhard schreibt: "Cornelius Gurlitt war nicht unbelehrbar, sondern in seinem Kokon gefangen, der ihn das Dilemma in und aus dem er lebte, nicht erkennen ließ." Und Hans-Joachim Müller nennt seinen Kommentar, effektvoll raunend: "Er nimmt alles mit ins Grab." – "Es gibt die paar Fotos vom greisen Mann mit den ängstlich aufgerissenen Augen", schreibt Müller, "aber es gibt keine Geschichte zu ihm."
Schlichter hebt die FAZ an: "Er wollte in seine Wohnung zurück", titelt sie. Dann aber nennt Julia Voss Gurlitt "einen der meist gejagten Prominenten der Welt". Hübsch ist die Formulierung zwischen all den immer wieder genannten Malern und Gemälden: "Wer sich ein Bild von Cornelius Gurlitt machen wollte, wurde immer wieder überrascht."
Während alle rätseln, was nun mit der Sammlung wird, scheint die WELT schon Bescheid zu wissen: "Der von allen als außerordentlich sanft und freundlich beschriebene Cornelius Gurlitt hat ein Testament hinterlassen, dessen Verfügung einen wiederum außerordentlich großmütigen, weder von Hass noch von Uneinsichtigkeit geprägtes Verfahren für die Pflege und Verwaltung seiner Sammlung vorsieht", schreibt Annegret Erhard. Was allerdings drinsteht in dieser Verfügung, verrät sie uns nicht.
Pointierte Verdichtungen, ein wenig rätselhaft
Am Ausführlichsten widmet sich naturgemäß die SÜDDEUTSCHE der Sache. Gleich mehrere Autoren haben an dem Stück geschrieben. Mit der Überschrift "Ein deutscher Schatzmeister" baut das Blatt seinen Vorsprung im Wettbewerb um die Kalauerdichte in den Titelredaktionen aus. Auch der Text spart nicht mit pointierten Verdichtungen: "Nun hinterlässt er so viele Bilder wie Rätsel", heißt es, oder: "War das, was der sonderliche alte Mann einsam hortete, nicht so etwas wie der Ablass, der das historische Gewissen als Einmalzahlung beruhigen konnte?" Oder, ein wenig rätselhaft: "Bis zu seinem Tod blieb Cornelius Gurlitt eine Chiffre".
Mit den Chiffren haben sie es bei der SÜDDEUTSCHEN Unter dem nächsten Titelkalauer: "Der Weg ist der Deal" erläutert uns Gerhard Matzig seinen neuesten Fund, nämlich eine "Renaissance der Straße im urbanen Raum". Da heißt es, Straßen seien "Chiffren des Unterwegsseins, die paradoxerweise Städte als Zeichen der Sesshaftigkeit hervorbringen. Nur darum führen alle Wege nach Rom." Man muss das nicht gleich verstehen. Hier geht es um die Formulierung, wie auch bei der Behauptung: "Gäbe es das große Von-A-nach-B-Wollen nicht: Das Leben wäre ein Dasein im Laufstall" oder bei dem Zwischentitel: "Wie es scheint, könnte es der Autogerechtigkeit bald an die Einspritzdüsen gehen".
Und nun ein Tabubruch: Natürlich verbietet es sich, auf Druckfehler einzugehen, schließlich sind das Funde der allerbilligsten Kategorie – aber dieser hier ist nicht nur schön, sondern auch noch ganz im Sinne des Autors: Nachdem der in seiner Eingangspointe das Wort "Verkehrsinfrastruktur" zum Beispiel für "Dobrindt-Deutsch" erklärt hat, passt es einfach zu gut, dass da steht: "Den Begriff der Schönheit wird man auf der Homepage des digitalisierten Verkehrt-Ministers kaum finden."
Ein echter, richtiger Fund
Zum Abschluss noch ein echter, richtiger Fund. "Die große Entdeckung", titelt die FAZ stolz, darf sie doch exklusiv ein paar Absätze vorab drucken. Passenderweise "Später "Ruhm" heißt eine Novelle von Arthur Schnitzler, die 120 Jahre lang verschollen war. Die erste Einschätzung: "Scheint nicht übel gelungen" stammt von keinem Geringeren als vom Autor selbst. Doch auch Hubert Spiegel verspricht: "Es ist schon sehr viel mehr vom großen Schnitzler in dieser Novelle zu erkennen, als ihr Verfasser selbst geahnt haben dürfte".
Also zum Abschluss zwei Zitate, echter originaler Schnitzler, ganz neu und noch ungelesen: "Dieser Abend endete wieder einmal in vorgerückter Stunde sehr schön." Und: "`Die Zeitungen sind übrigens nicht die Hauptsache´, sagte Blink. `Auf das Publikum kommt’s an.´"