"Der Militärcoup hat alles geändert"
Can Dündar ist der Chefredakteur der regierungskritischen türkischen Zeitung Cumhüriyet. Gerade ist er in Deutschland und kann nicht in die Türkei zurück - dort würde er ins Gefängnis geworfen werden. In der "Berliner Zeitung" kritisiert er Kanzlerin Merkels Umgang mit der Türkei.
"Was also sind Ihre Pläne?", fragt die BERLINER ZEITUNG Can Dündar im persönlichen Gespräch in Berlin. "Sagen Sie es mir!", antwortet der Chefredakteur der regierungskritischen türkischen Zeitung Cumhüriyet. "Auch für mich ist die Situation völlig neu. Der Militärcoup hat alles geändert." Es wird wieder in türkischen Gefängnissen gefoltert. Und Erdogan will die Todesstrafe einführen. Und dann die ganzen ausgetauschten Richter. Da könne er zurzeit nicht aus seinem Urlaub in die Türkei zurückkehren. Dündar war Anfang Mai zu fast sechs Jahren Haft verurteilt worden, weil er über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an syrische Extremisten berichtet hatte. Dagegen ging er in Berufung und ist deshalb immer noch ein freier Mann.
Europa habe unzählige Fehler im Umfang mit der Türkei begangen: "Der erste war, die Verhandlungen mit der Türkei für die Aufnahme in die EU abzulehnen", sagt er. Damit habe die EU die türkische Demokratiebewegung geschwächt und dazu beigetragen, dass sich die eigentlich säkulare Türkei jetzt "in Richtung eines islamischen Landes" entwickle. "Beschämend" sei der Flüchtlingsdeal: "Wir haben vorausgesagt, dass der Deal nicht funktionieren kann. Ich bin sicher, Erdogan wird in einigen Wochen die Tore öffnen." In Untersuchungshaft hat Dündar im Fernsehen eine Pressekonferenz vom damaligen Premierminister Ahmet Davutoglu und Angela Merkel gesehen: "Unser Premier wurde gefragt: Was ist mit den inhaftierten Journalisten? Er antwortete: Es gibt keine Journalisten in den Gefängnissen. Und Angela Merkel sagte nichts. Ihre Sorge galt allein den Flüchtlingen, nicht uns."
"Die westlichen Demokratien sind gefährdet"
Ähnliche Kritik auch im TAGESSPIEGEL: Die Kanzlerin erscheine in diesem Sommer "bloß noch reaktiv oder sprachlos", schreibt Peter von Becker. Er hat sich auf die Suche nach Menschen mit Charisma in Zeiten des politischen Populismus begeben und nennt schließlich als Beispiel Michelle Obama und ihre Rede auf dem Nominierungskongress der Demokraten. Da habe sie mit Blick auf Populisten wie Trump gesagt: "When they go low we go high." Dazu Peter von Becker: "Sieben Worte. Statt auf das Niveau der Vulgarisierung zu sinken, den eigenen Anspruch hochhalten. Ein Satz, so einfach, so klar, so schlagend. Ausgesprochen mit dem Charisma der Vernunft."
Als Beleidigung seiner Vernunft empfand wohl Patrick Bahners, was der Historiker Andreas Wirsching am 8. August in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG geschrieben hatte: Die westlichen Demokratien seien gefährdet, es sei möglicherweise "schon fünf vor zwölf". Das tat Bahners am 9. August in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG als "Sonntagsredensarten" ab und unterstellte Wirsching eine "schiefe Ausdrucksweise" und eine "quasireligiöse Überhöhung des Grundgesetztes". Wirsching ist nicht nur studierter Historiker, sondern auch Theologe. Bahners studierte neben Geschichte noch Philosophie und stört sich daran, dass Wirsching "Parteien wie den Front National" als Feinde der Demokratie darstelle, obwohl sie doch, so Bahners, "gute Chancen haben, Mehrheiten zu gewinnen."
Nun antwortet Wirsching in der FAZ. Bahners störe es "offenbar" nicht, dass der Front National in Frankreich die Mehrheit gewinnen könnte. "Denn Mehrheit ist ja Demokratie, die man deswegen auch nicht vor sich selbst zu schützen braucht." Letztlich könnten die Ausführungen von Patrick Bahners die Demokratie selbst diskreditieren: "Wer die Demokratie zur historischen Beliebigkeit erklärt, verleiht den Feinden der Demokratie eben jenen Legitimitätsbonus, den sie selbst immer reklamieren: dass sie nämlich gegen die Demokratie das 'eigentliche' Volk repräsentieren."