Aus den Feuilletons

Der WDR, die Soße und ein Shitstorm

04:19 Minuten
Schnitzel mit Paprikasoße und Pommes Frites.
Schnitzel mit Paprikasoße und Pommes Frites. Früher hieß die Soße anders - aber an "Paprikasoße" kann man sich durchaus gewöhnen. © picture alliance / dpa / Zoonar / Karl Allgäuer
Von Arno Orzessek |
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Eine WDR-Talkshow sorgt für Aufregung im Netz und in den Feuilletons. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma kritisiert, die Sendung habe den Eindruck erweckt, als wolle sie mit Antiziganismus Quote machen. Die "FAZ" sieht das Problem woanders.
Blicken wir rasch auf ein Foto in der Tageszeitung DIE WELT. Man sieht Pommes, ein paniertes Schnitzel und jene Soße, die man einst bedenkenlos "Zigeunersoße" genannt hat. Damit wissen Sie vermutlich, auf welchen Vorfall die WELT anspielt: Der Ex-Big-Brother Jürgen Milski, der Autor Micky Beisenherz, die Schauspielerin Janine Kunze und Thomas Gottschalk haben im WDR-Fernsehen über Diskriminierung debattiert.
Und dabei kundgetan: "Zigeunersoße" behage ihnen mehr als "Paprikasoße ungarischer Art" – jener Name, den einige Soßenhersteller neuerdings verwenden. Die Sendung hat in den sozialen Medien einen Shitstorm ausgelöst, der nun wiederum, so funktioniert mediale Kreislaufwirtschaft, die Feuilletonisten an die Tastaturen treibt.

Rätselhafte Gästewahl

"Die Frage ist, wie die sowohl aus journalistischen wie unterhaltungstechnischen Gründen höchst einfältige Idee zustande gekommen ist, vier Menschen mit ähnlichen Erfahrungswerten (also keinen) zum Thema rassistische Diskriminierung diskutieren zu lassen", grübelt Aurelie von Blazekovic in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG befindet Michael Hanfeld, man müsse die Sendung "wirklich nicht für den Gipfel der Aufklärung halten" – Überschrift: "Rassismussoße". Doch in der Hauptsache stört sich Hanfeld am Shitstorm: "Das Phänomen, das sich hier zeigt: Es kommt weniger darauf an, was gesagt wird, sondern, wer etwas sagt. 'Privilegierte Weiße', als welche die Teilnehmer der Show sogleich identifiziert wurden, sind beim Thema Rassismus in den Augen der journalistischen Twittertruppe, die bei solchen Gelegenheiten loslegt, von vornherein außen vor."
Die TAGESZEITUNG schließt aus der Causa, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gelte das Motto: "Lieber von Twitter gehasst als von den Stammtischen verschmäht". Während der WELT-Autor Jan Küveler auf den Vorschlag Barbara Schönebergers eingeht, statt "Zigeunersoße" "Soße ohne festen Wohnsitz" zu sagen. Ein Witz, von dem auch in der inkriminierten Sendung die Rede war.
"Schöneberger macht sich nicht über Angehörige der Sinti und Roma lustig", betont Küveler, "sondern über sprachhygienische Bemühungen. Das latent Krampfige, das ihnen innewohnt, geht hier besonders putzig schief; das hochmoralische Ansinnen endet in der Verschlimmbesserung, weil die Obdachlosigkeit auch nur ein übles Z-Wort-Klischee ist. Nicht Sinti und Roma sind also Ziele des Witzes, sondern diejenigen, die glauben, Sprache sei etwas, das man von oben verordnen könne. Auch wenn Sinti und Roma aber keine Ziele sind, das muss man schon zugeben, sind sie sozusagen Kollateralschäden." Differenziert in der WELT: Jan Küveler.

Zeit der großen Säuberung?

Was man sagen darf und was nicht, beschäftigt laut FAZ auch die Theaterszene in Kanada. Simon Strauss ist angetan von "einem klug argumentierenden Video-Essay" von Carmen Aguirre, der kanadischen Schauspielerin und Dramatikerin mit chilenischen Wurzeln. Die, wie Strauss erklärt, "nach eigenen Angaben ihr Leben lang dafür gekämpft hat, dass Menschen aus den kaum sichtbaren Teilen der Gesellschaft 'ihr ganzes Selbst auf der Bühne zeigen können'."
Nun aber, so Strauss, "bezeichnet Aguirre die letzten Jahre im Theaterbetrieb als 'beschämende Zeit der großen Säuberung', die von Grausamkeit und psychologischer Gewalt und nicht von Empathie und Solidarität gekennzeichnet worden sei. Statt Konflikte als inspirierend zu begreifen, habe sich am Theater eine Geisteshaltung eingebürgert, die nicht mehr zwischen richtigen und falschen, sondern nur noch zwischen guten und bösen Meinungen unterscheide, und jene, die sich dem Einverständnis mit den absoluten Wahrheiten der identitären Linken entziehen, auf den Platz 'rechts außen' verweise."
Und sonst so? Bei der zweigeteilten Berlinale im März gibt es ein virtuelles Festival für Fachleute, ein nicht-virtuelles fürs Kino-Publikum im Juni löst im Berliner TAGESSPIEGEL "vorsichtige Vorfreude" aus. Die SZ ist spürbar skeptischer: "Die Berlinale will sich und das Kino vor der Pandemie retten. Leider weiß nur keiner so genau wie."
Tja, dieses blöde Virus! Seinetwegen macht die FAZ auch in der zeitgenössischen Musik "Melancholie als Trendstimmung" aus. Umso plausibler erscheint uns die Parole der Sängerin Anna Prohaska, die dem TAGESSPIEGEL als Überschrift dient: "Wir brauchen die Ekstase".
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