Aus den Feuilletons

Der Wunschwahn des Affen

04:20 Minuten
Der Schauspieler Ben Becker im Smoking hat einen Stuhl in der Hand.
Ben Becker bei der Premiere seines Soloabends "Affe". © picture alliance/Gerald Matzka/dpa-Zentralbild/ZB
Von Tobias Wenzel |
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Der Schauspieler Ben Becker führt in seinem Soloabend "Affe" Franz Kafka und Friedrich Engels zusammen - und begeistert das Publikum. Nicht aber den Kritiker der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Der sieht "höchstens ein bisschen Wunschwahn".
"Die Zeichengröße entspricht ungefähr jener der Thomas-Mann-Taschenbuchausgabe aus den frühen Siebzigern", schreibt Elmar Krekeler in der WELT über das Programmheft der Berlinale anlässlich ihrer Eröffnung.
"Das Heft bewegt sich also am Rand der Gesundheitsgefährdung. Überhaupt muss man über eine relativ gefestigte körperliche und geistige Verfassung verfügen, um aushalten zu können, was da verhandelt wird."
Eine hübsche Idee jedenfalls, einen Literaturkritiker auf das Programmheft eines Filmfestivals loszulassen. An dem Berlinale-Heft stört Krekeler, dass die Handlung der Filme nicht einfach nüchtern vorgestellt wird, sondern mit Worten wie "grandiose Erzählung über die Grausamkeit der Liebe" oder "Schwein. Rind. Huhn. Intime Porträts von Lebewesen, die im Alltag tot auf den Teller kommen".
Krekeler leidet beim Lesen und kann doch nicht damit aufhören. Schon der erste Satz des Programmheftes schockiert ihn wegen seiner Banalität. Die Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek schreibt da: "Die Berlinale und Berlin sind unzertrennlich."
Elmar Krekelers Kommentar: "Das ist natürlich ausgesprochen beruhigend. Weil die Berlinale sonst umziehen und irgendwo anders neu anfangen könnte. In Wanne-Eickel beispielsweise, wo sie dann Wanne-Eickelale heißen müsste, was ja ganz blöd klingt."
Die Überschrift zum Artikel in der WELT: "Im Kino gelesen, geweint". Ein originelles Spiel mit Franz Kafkas berühmtem Tagebucheintrag.

Die Sehnsucht nach dem Volksschauspieler

"Kafka und Engels auf dem Broadway" hat Simon Strauss seinen Artikel für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG genannt. Ähnlich wie der Literaturkritiker Krekeler muss der Theaterkritiker Strauss gelitten haben, als er sich "Affe", den Soloabend mit Ben Becker im Berliner Admiralspalast angesehen hat. Becker hat "Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen", das Fragment von Friedrich Engels, und den "Bericht über eine Akademie" von Franz Kafka miteinander verwoben und auf die Bühne gebracht. Und Kritiker Strauss enttäuscht.
"Der Solist, der gleichzeitig sein eigener Regisseur zu sein meint, läuft nach einer kurzen Filmsequenz über die Entwicklungsgeschichte des Menschen im orangen Overall auf der leeren Bühne hin und her und deklamiert mit heißgemeintem Bemühen den Theorietext von Engels", schreibt Strauss, der nur folgendes gesehen hat: ein "führungsloses Subjekt, das unbedingt Wahrheit aussprechen will, aber in seinen besten Momenten höchstens ein bisschen Wunschwahn zum Ausdruck bringt."
Nur wie ist zu erklären, dass Ben Becker mit seinen Soloauftritten ganze Hallen füllt? Das hänge, vermutet Simon Strauss, damit zusammen, dass Becker bei vielen Zuschauern "eine alte Sehnsucht nach dem Volksschauspieler" befriedige. Becker versuche, "eine Art deutschen Broadway zu erfinden".
"Es ist eine eigene Marke, die hier auftritt", analysiert Strauss, "das muss einem klar sein, wenn man verstehen will, warum die Zuschauer nach der letzten, mühsamen Schlusspointe sofort aufspringen, die Hände in die Höhe strecken und dem Matadoren zujubeln wie nach einem Stierkampf."

70 Gründe, NRW zu lieben

Der anstehende Kampf um den CDU-Vorsitz inspiriert die TAZ: "Plötzlich kommen alle aus NRW – zumindest alle diejenigen, die CDU-Vorsitzende werden wollen. Aber warum möchten sie eigentlich da weg?", fragt die TAZ und füllt eine ganze Seite mit 70 nicht gerade ernst gemeinten Gründen dafür, "warum man Nordrhein-Westfalen, das Schönste aller Bundesländer, einfach lieben" müsse.
Grund 2: "Toleranz. Das Sauerland erträgt das Ruhrgebiet. Und umgekehrt." Grund 13: "Die Brautmodenmeile in Duisburg-Marxloh". Grund 67: "Jens Spahn hängt fast nur noch in Berlin ab."
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