Die ästhetische Macht des toten Gesichts
Als die Fotografie noch jung war, wurden Verstorbene auch gerne in ungeschöntem Zustand oder in extremen Posituren fotografiert. In der "Zürcher Zeitung" hat sich der Schweizer Schriftsteller Martin R. Dean mit diesem Brauchtum etwas ausführlicher auseinandergesetzt.
Endlich mal, und das auch noch in der ZEIT! Ein Interview, das einem aus dem Herzen spricht, falls Interviews so etwas können. Zumindest der Interviewte kann es und tut es, wenn er sagt:
"Ich bin durch und durch immer Künstler gewesen in meinem Erwachsenenleben."
Gilt auch für die Kunst der Presseschau, versteht sich, deswegen fängt diese mit Max Goldt an und seinem Verdikt über das "Unwort des Jahres":
"Das ist das Allerblödeste. Die Entscheidungen der Jury fand ich alle lächerlich",
spricht Goldt, dessen Sprachkritiken und Marotten für ganze Kohorten von Kollegen prägend waren. Ach ja, und warum liest man seit geraumer Zeit nichts mehr von ihm? Schreibblockade?
"Schreibblockade wird gedeutet als Ausgetrocknetsein. Daß man keine Einfälle mehr hätte. Aber ich habe mehr Einfälle denn je. Eine Schreibblockade ist eine Angststörung, Angst vor dem Scheitern. Angst vor der Mühe auch, weil die sich nicht lohnen könnte."
Wieder aus dem Herzen gesprochen. Denn jeder schreibende Künstler weiß: Schreiben macht keinen Spaß. Großen Spaß macht bloß, etwas geschrieben zu haben – und sei es eine Buchrezension. Doch ach!, was lesen wir da in der ZEIT für Sätze aus Goldts Mund?
"Hören Sie mal Deutschlandradio den ganzen Tag. Wenn es um Bücher geht, wird immer nur der Inhalt repetiert und der Background des Autors beleuchtet, und das wird dann zusammengeschmuddelt."
Böser Max Goldt! Von wegen "Mildäugigkeit" – ein Wort, auf das er sich soviel zugute hält wie auf die "Klofußumpuschelung" seligen Angedenkens.
"Ich bin durch und durch immer Künstler gewesen in meinem Erwachsenenleben."
Gilt auch für die Kunst der Presseschau, versteht sich, deswegen fängt diese mit Max Goldt an und seinem Verdikt über das "Unwort des Jahres":
"Das ist das Allerblödeste. Die Entscheidungen der Jury fand ich alle lächerlich",
spricht Goldt, dessen Sprachkritiken und Marotten für ganze Kohorten von Kollegen prägend waren. Ach ja, und warum liest man seit geraumer Zeit nichts mehr von ihm? Schreibblockade?
"Schreibblockade wird gedeutet als Ausgetrocknetsein. Daß man keine Einfälle mehr hätte. Aber ich habe mehr Einfälle denn je. Eine Schreibblockade ist eine Angststörung, Angst vor dem Scheitern. Angst vor der Mühe auch, weil die sich nicht lohnen könnte."
Wieder aus dem Herzen gesprochen. Denn jeder schreibende Künstler weiß: Schreiben macht keinen Spaß. Großen Spaß macht bloß, etwas geschrieben zu haben – und sei es eine Buchrezension. Doch ach!, was lesen wir da in der ZEIT für Sätze aus Goldts Mund?
"Hören Sie mal Deutschlandradio den ganzen Tag. Wenn es um Bücher geht, wird immer nur der Inhalt repetiert und der Background des Autors beleuchtet, und das wird dann zusammengeschmuddelt."
Böser Max Goldt! Von wegen "Mildäugigkeit" – ein Wort, auf das er sich soviel zugute hält wie auf die "Klofußumpuschelung" seligen Angedenkens.
Erinnerung an den Soziologen Arnold Gehlen
Scharfsichtigkeit statt Mildäugigkeit bewies ein Mann, dem Wolf Lepenies in der "Welt" Referenz erweist, ein Mann, der zwar zu den bedeutendsten Denkern in der frühen Bundesrepublik zählte, dort aber wegen der Beschuldigung des Nazi-Mitläufertums keine akademische Karriere mehr machen konnte: der Philosoph, Anthropologe und Soziologe Arnold Gehlen.
Anlässlich der Neuauflage seines Buchs "Zeit-Bilder", einer großen Streitschrift für die moderne Kunst, repetiert Lepenies den Inhalt und beleuchtet Gehlens Background, wozu ein seltsam liebevoller Briefwechsel zwischen Gehlen und seinem mächtigen und ihm durchaus missgünstigen Gegenspieler Adorno gehört. Aber Gehlens These von der im Laufe der Geschichte wachsenden Kommentarbedürftigkeit der Kunst hat dem Spiritus Rector der Frankfurter Schule offenbar gut gefallen. Er stellte "Übereinstimmungen der unerwarteten Art" fest. Nicht zuletzt dürfte Adorno auch die – wie Lepenies schreibt –
"von Jargon freie, pointenreich zugespitzte Sprache"
Gehlens berührt haben. Zum Beispiel die folgende Passage:
"Vor einem unverstandenen Bilde fühlt sich ein denkender Mensch unbehaglich, wie wenn er leidenschaftlich und eindringlich in einer Fremdsprache angeredet würde."
"von Jargon freie, pointenreich zugespitzte Sprache"
Gehlens berührt haben. Zum Beispiel die folgende Passage:
"Vor einem unverstandenen Bilde fühlt sich ein denkender Mensch unbehaglich, wie wenn er leidenschaftlich und eindringlich in einer Fremdsprache angeredet würde."
Zur Fotografiegeschichte von Toten
Etwas Ähnliches könnte man auch von jenen Bildern sagen, um die es in einem kleinen Essay des Schweizer Schriftstellers Martin R. Dean geht, der in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG steht:
"Dem Tod ins Gesicht schauen",
lautet der Titel, und die Anfangszeilen enthalten bereits die ganze Fragestellung.
"Wohin soll man schauen, wenn einem im Fernsehen oder auf einem Social-Media-Kanal das Gesicht eines Toten gezeigt wird? Soll man vom Recht des Wegsehens Gebrauch machen? Oder gebietet uns nicht gerade das menschliche Verantwortungsgefühl, hinzuschauen?"
Dean holt sodann weit aus in der Fotografiegeschichte; man erfährt von makabren Bräuchen in deren Frühzeit, vom Ablichten Verblichener in ungeschöntem Zustand, später aber auch in extremen Posituren, etwa indem man die Toten mit hölzernen Vorrichtungen aufrichtete und als Stehende fixierte, oder von Männern, die ihre toten Ehefrauen für ein letztes Bild im Arm wiegten.
Nach all diesen Exkursen bleibt der Autor allerdings die Antwort auf die Ausgangsfrage schuldig.
"Ob wir hin- oder wegschauen, wird fortan nicht mehr die Frage sein. Vielmehr: Was machen die Bilder mit uns – und was wir mir ihnen?"
Ganz klar zeigt der Text jedenfalls: Die ästhetische Macht des toten Gesichts lässt sich nicht auf einer Zeitungsseite abhandeln.
"Dem Tod ins Gesicht schauen",
lautet der Titel, und die Anfangszeilen enthalten bereits die ganze Fragestellung.
"Wohin soll man schauen, wenn einem im Fernsehen oder auf einem Social-Media-Kanal das Gesicht eines Toten gezeigt wird? Soll man vom Recht des Wegsehens Gebrauch machen? Oder gebietet uns nicht gerade das menschliche Verantwortungsgefühl, hinzuschauen?"
Dean holt sodann weit aus in der Fotografiegeschichte; man erfährt von makabren Bräuchen in deren Frühzeit, vom Ablichten Verblichener in ungeschöntem Zustand, später aber auch in extremen Posituren, etwa indem man die Toten mit hölzernen Vorrichtungen aufrichtete und als Stehende fixierte, oder von Männern, die ihre toten Ehefrauen für ein letztes Bild im Arm wiegten.
Nach all diesen Exkursen bleibt der Autor allerdings die Antwort auf die Ausgangsfrage schuldig.
"Ob wir hin- oder wegschauen, wird fortan nicht mehr die Frage sein. Vielmehr: Was machen die Bilder mit uns – und was wir mir ihnen?"
Ganz klar zeigt der Text jedenfalls: Die ästhetische Macht des toten Gesichts lässt sich nicht auf einer Zeitungsseite abhandeln.