Aus den Feuilletons

Die Anti-Hipster

Lead singer Klaus Meine (R) and lead guitarist Rudolf Schenker of the iconic German heavy metal band Scorpions, 2009.
Kommen aus Hannover: Scorpions - hier Rudolf Schenker (links), der Gitarrist und Sänger Klaus Meine © AFP PHOTO JOHN MACDOUGALL
Von Arno Orzessek |
Die schönste, lustigste und böseste Rezension zur neuen Scorpions-Platte, so viel steht fest, stammt von Dietmar Dath und steht heute in der "FAZ". Das und mehr zeigt unser Blick in die Feuilletons.
Schon allein, weil Sie uns hier zuhören, liebe Hörer, unterstellen wir: Sie haben Kultur, Sie haben Geschmack, Sie sind sich Ihrer ästhetischen Urteile sicher!
So. Und jetzt machen wir darauf mal die Probe.
Bitte vergeben Sie für folgenden Textauszug, den die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG abdruckt, null bis zehn Punkte…
Wobei null Punkte für ‚grenzdebiler Vollpfosten-Erguss‘ stehen mögen und zehn Punkte für ‚höchste Hölderlin-Höhe‘.
Hier der Auszug:
"karl entpuppt sich als karl und karl entschließt sich karl bei karl zu lassen und lässt karl bei karl doch karl lässt karl nicht mit karl bei karl und entschließt sich karl nicht bei karl zu lassen wenn karl mit karl bei karl bleibe.‘"
Und nun fällen Sie bitte Ihr ästhetisches Urteil!
Dann können Sie es jetzt nämlich mit dem Urteil von Till Briegleb vergleichen.
Der SZ-Autor feiert Konrad Bayer, den Verfasser obiger Karl-Kaskade, die übrigens einem Text entstammt, in dem nur dieses eine Substantiv vorkommt, Sie wissen schon: "karl"…
Briegleb also feiert Bayer als einen "Sprach-Alchimisten", der sich vorzüglich auf die "Demontage bloßer Bedeutungshuberei" verstanden habe.
Zum traurigen Hintergrund: Konrad Bayer hat sich 1964 mit 31 Jahren umgebracht - nach einem unerfreulichen Besuch bei der scharfrichternden Gruppe 47, die sein sprachphilosophisches Wortmüllrecycling womöglich nicht kapiert hat.
Dafür feiert die SZ nun Herbert Fritschs Bayer-Theaterabend "der die mann" an der Berliner Volksbühne als "brillant choreografierten Verbal-Quatsch".
Aufs Erlesenste vollgequatscht fühlt sich gleichfalls Irene Bazinger, die unter dem Titel "Im semantischen Schwebezustand" in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG konstatiert:
"Dem inspirierten Herbert Fritsch gelingt es in seiner virtuosen Inszenierung, den Autor [Bayer] in dessen abgründiger Ambivalenz wie abstrusen Wahrhaftigkeit zu würdigen, ganz im Sinne des Gedichts ‚niemand hilft mir‘, in dem es ungewohnt eindeutig heißt: ‚das ist lustig/das ist schön/das ist das zugrundegehn‘."
Und auch die TAGESZEITUNG findet Fritschs Berliner Bayer-Abend prima:
"Der erste Impuls [so Katrin Bettina Müller] [ist] das Staunen über die Leistung der Schauspieler, diesen Sprachmatsch pantomimisch und gestenreich mit Anspielungen zu füllen."
Unter der Überschrift "Kampf der Silbenverklumpung" zitiert Müller ein Bayer-Kunstwort, das wir nicht präziser aussprechen können als "stundehnendlostwindstill" – darin aber immerhin ‚stunde‘, ‚dehnen‘, ‚endlos‘, ‚ostwind‘ und ‚windstill‘ erkennen.
So viel zu Bayers tollem Buchstabenunfug.
Glücklicherweise textet Dietmar Dath in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG auch nicht restlos spaßbefreit…
Sondern unkt unter dem Titel "Stichtag für den Stahlstachel" über das neue Studio-Album der Scorpions, die nun seit fünfzig Jahren hart rocken und heavy metaln:
"Man kann – und viele werden – zu diesem Ding Autofahren, mit den Kindern (oder: Enkeln) im Wohnzimmer herumalbern, Feuerzeuge, Wunderkerzen und Handys in die Höhe halten, ein Weilchen ruckartig nicken oder das Geschirr abtrocknen. Man kann dazu nicht im Internepp oder in Berliner Hipsterbart-Käsebudiken über die Krise der Popmusik und die Relevanz der Indolenz des performativen Firlefanz mitlabern. Na also."
Dietmar Dada Dath, über die ewigen Skorpione und ihr Album "Return To Forever". -
Und nun haben wir ein Problem, liebe Hörer:
Von Sound und Silben wie besoffen, können wir uns unmöglich überwinden, gegen Ende unserer Presseschau ernsthaft ernst zu werden.
Was aber vielleicht – im Blick auf Konrad Bayer und, sei’s drum, auch auf Dada Dath – hier noch passt, ist eine Notiz, die in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG unter dem Titel "Vom Wahren, Schweren und Leichten" steht:
"Die trefflichste Definition der Virtuosität, oft zitiert, selten befolgt, stammt von Mozart und lautet sinngemäß: Man erkennt nicht, wie schwer es ist, und das ist das Wahre."
Wir verabschieden uns mit einer Unbestreitbarkeit, die in der SZ Überschrift wurde.
Sie lautet: "Jedes Lächeln zählt."