Die Bürger als Revolutionäre
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Wie sind die Ereignisse des 9. Oktober 1989 in Leipzig zu deuten? Diese Frage beschäftigt im Feuilleton der "FAZ" den Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk. Seine Antwort lautet: Es war eine Revolution der Bürgerbewegungen.
"Der 9. Oktober 1989 ist der symbolische 14. Juli der ostdeutschen Revolution" schreibt der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und mischt sich damit in den Streit um Bedeutung wie aktuelle Deutung der Herbstereignisse jenes Jahres ein. Sein Artikel ist eine Ergänzung, genauer gesagt eine Kontroverse, zur Sicht auf die "Freiheitsrevolution" des Soziologen Detlef Pollack, die er am 12. Juli ebenfalls in der FAZ veröffentlicht hatte.
Kowalczuks Anklage lautet: "Nun, 30 Jahre danach, wird versucht, die Geschichte der Revolution umzuschreiben." Es geht um die Frage: Ist der Umbruch, die Wende oder die Wiedervereinigung – das mag man nennen, wie man will – gelungen oder nicht? Der Historiker hebt vor allem die Rolle der "Bürgerbewegungen als maßgebliche Kraft" bei der friedlichen Revolution hervor, die aber habe Pollack bei seinen Ausführungen ignoriert.
Im Nachhinein zur Revolution erklärt
Die Forschung sei sich spätestens seit 2009 darin einig, so der Autor, "dass der Umbruch in der DDR die wichtigsten Kriterien einer Revolution erfüllte … Die Bürgerbewegungen", auch das sei inzwischen Konsens, "waren von entscheidender Bedeutung für die Revolution. Sie boten ein Podium, eine Möglichkeit gemeinsamen Handelns, sie prägten Kultur und Sprache der Revolution und artikulierten ihre Forderungen." Dass Gregor Gysi am 9. Oktober in Leipzig eine Festrede auf eine Revolution halten wird, "für die er", so Kowalczuk, "nicht nur nichts konnte, sondern gegen die er sich mit allen Mitteln bis zuletzt zu wehren suchte", das sei "kein Beitrag zur Versöhnung", sondern das sei "Verhöhnung."
Ein wenig nach Verhöhnung klingt auch die Überschrift "Preußenschlag", zu finden ebenfalls in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Fraglich nur, wer hier wen vorführt. Zunächst die Fakten: "Das Haus Hohenzollern fordert" – wie jetzt bekannt wurde – "Schlösser und Kunstwerke, Briefe und Gemälde, Möbel und Aquarelle aus dem Besitz der preußischen Monarchen vom Bund und vom Land Brandenburg zurück."
Wir lesen, es geht um mehrere tausend Objekte, die größtenteils nach dem Zweiten Weltkrieg durch die DDR verstaatlicht wurden und nach der Wiedervereinigung in den Besitz der Staatlichen Museen Berlin, der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten und des Deutschen Historischen Museums übergingen. Und es geht um Immobilien. "Über all das ließe sich verhandeln", beschwichtigt Andreas Kilb in der FAZ, gleichzeitig mute es ihn seltsam an, "dass die Hohenzollern offenbar nicht etwa nach der geschichtlichen Bedeutung einzelner Stücke fragen", sondern dass sie "eine Fifty-fifty-Beuteteilung vorschlagen, deren Marktwert vorweg zu ermitteln wäre… Das alles", wiederholt der Autor, "ist Verhandlungssache, auch wenn der Bund in Gestalt von Monika Grütters die Verhandlungen erst einmal abgesagt" habe.
Mein Schloss oder Dein Schloss?
Wesentlich unversöhnlicher meldet sich Sven Felix Kellerhoff dazu in der Tageszeitung DIE WELT. Er erinnert: "Schon vor 100 Jahren" gab es für diese Fragen "keine juristisch befriedigende Lösung." Aus seiner Sicht sei "ein diesmal verbindlicher Verzicht der Hohenzollern auf sämtliche Ansprüche über die 1926 übertragenen Vermögenswerte hinaus" die einzige gesellschaftlich akzeptable Lösung. Drei Gründe für seinen Vorschlag führt er auf, bevor er als Fazit formuliert: "Die Forderungen, wie sie jetzt öffentlich wurden, unterminieren das Fundament der demokratischen Gesellschaft."
Gefallen hat uns eine Überschrift im TAGESSPIEGEL. Unter "Ludwigs Lust", geschrieben in zwei Wörtern, erfährt man nichts über das bedeutende gleichnamige Schloss in Mecklenburg Vorpommern, sondern Frederik Hanssen breitet aus, "was die Berliner Orchester zum Beethoven-Jahr planen." 2020 jährt sich der Geburtstag des Komponisten zum 250. Mal – und "dann wird", so das Versprechen, "ganz groß gefeiert. Kirill Petrenko, der neue Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, startet mit der "Ode an die Freude" seine Amtszeit in diesem Sommer, am 23. August. Tags darauf erklingt das Werk bei freiem Eintritt für alle vor dem Brandenburger Tor."