Aus den Feuilletons

Die Causa Tellkamp-Grünbein

Uwe Tellkamp und Durs Gruenbein
Uwe Tellkamp und Durs Gruenbein © picture alliance / Sebastian Kahnert / Erwin Elsner
Von Arno Orzessek |
Die Causa Tellkamp-Grünbein war in dieser Woche das Feuilleton-Thema Nr. 1. Urs Grünbein wirft seinem Schriftstellerkollegen Uwe Tellkamp in der „Zeit“ Islamophobie vor. In der "Tageszeitung" wünscht man sich eine gemäßigtere Diskussionskultur.
"Mein Ziel ist einfach: Es ist das komplette Verständnis des Universums, warum es ist, wie es ist, und warum es überhaupt existiert."
Britisches Understatement und intellektuelle Brillanz bis an die Grenze zur Megalomanie: Der Physiker Stephen Hawking, der in dieser Woche gestorben ist, hat beides verbunden.

Unter dem Titel "Geist ohne Grenze" verfasste Sibylle Anderl in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG einen instruktiven Nachruf samt Würdigung der Hawkingschen Arbeiten zu Schwarzen Löchern…


Einen Nachruf indessen, der manchen kunstverliebten Feuilleton-Leser daran erinnert haben dürfte, dass ihm schon zu Schulzeiten Physik Hekuba gewesen ist.

Nicht unerwähnt ließ Anderl die "Hawking-Strahlung", die ihr Namensgeber 1975 postuliert hatte – und deren charmanteste Eigenschaft darin liegt, dass sich ihre Existenz offenbar bis heute weder so recht beweisen noch widerlegen lässt.


Die Hawking-Strahlung

"Der revolutionäre Aspekt der Idee Hawkings ist dabei [so Anderl], dass er als einer der Ersten die beiden großen und bis dahin unverbundenen physikalischen Theorien des Mikro- und des Makrokosmos zusammengebracht hat: die Relativitätstheorie und die Quantentheorie. Damit legte er den Grundstein für heutige Arbeiten zur Suche nach einer vereinheitlichten Theorie der Quantengravitation."


FAZ-Autorin Anderl über das Erbe Stephen Hawkings, dem wir gute Gesundheit in jener anderen Welt wünschen, falls es sie wider Erwarten doch gibt. -
Das Feuilleton-Thema Nr. 1 war die Causa Tellkamp-Grünbein, provoziert durch ein Streitgespräch beider im Dresdner Kulturpalast.

Wie Durs Grünbein seinen Schriftsteller-Kollegen Uwe Tellkamp dort erlebt hatte, erklärte er der Wochenzeitung DIE ZEIT.


"Was wir von Tellkamp zu hören bekamen, ist uns seit Jahren von den Teilnehmern der Pegida-Demonstrationen bekannt: Islamophobie, Furcht vor dem Anderen, Verschwörungsfantasien."


Offenbar stark aufgewühlt, veröffentlichte Grünbein außerdem einen fünfspaltigen "Rückblick auf mein Streitgespräch mit Uwe Tellkamp" in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.


Im Artikel selbst kam Tellkamp kaum vor – Grünbein wurde grundsätzlich.


"Es braucht das Gespräch zwischen vernünftigen Menschen – sonst geht alles den Bach runter. Und es braucht die Begriffsbestimmung. Zu wissen, was eine Meinung ist, eine Gesinnung, eine Lüge oder eine Tatsache, wird essenziell und für uns alle überlebenswichtig. Permanent ist man damit beschäftigt, Falschaussagen und Desinformationen zu korrigieren – das absorbiert inzwischen die ganze Gehirnleistung."


Uwe Tellkamp derweil schwieg…

Tellkamps Patriotismus ist rein regional

Und hat vielleicht in der FAZ nachgelesen, was das "eigentlich Verwunderliche" an seinem Dresdner Auftritt war.


"Es besteht [so Simon Strauss] in der mentalitätsgeschichtlich einschneidenden Tatsache, dass knapp dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer die patriotische Rede eines konservativen Autors damit auskommt, von Deutschland zu reden, ohne sich positiv auf das ganze Land und die geglückte Wiedervereinigung zu beziehen. Dass er im Gegenteil sogar einen gewissen Stolz aus der Segregation, dem Verachtet-Sein zieht, sein Patriotismus sich ganz selbstverständlich rein regional und nicht national versteht. […] Das Ost-Gefühl erhebt dabei implizit den Anspruch, das eigentlich Deutsche zu sein."

Kluge Beobachtungen des FAZ-Autors Simon Strauss.


Tellkamp – wir sagten es gerade – schwieg. Aber zu Wort kam er in gewisser Weise doch…


Denn viele Feuilletonisten, darunter Richard Kämmerlings von der Tageszeitung DIE WELT, schlugen aus gegebenem Anlass noch einmal Tellkamps Roman "Eisvogel" von 2005 auf.


Erwähnenswert fand Kämmerlings die Gedanken der Figur Mauritz, die für die faschistische Ordensgemeinschaft "Wiedergeburt" wirbt.


"‚Wie soll das enden? Nirgendwo Aufbruch, Hoffnung und damit: Zukunft… Stattdessen Lethargie, Menschen, die Schatten ihrer selbst sind, an nichts mehr glauben, die keine Vision mehr haben, keine Ursprünglichkeit, zerfressen von Skepsis und Zynismus… Sie sind krank von Demokratie! Die Menschen wollen nicht mehr tausend Angebote, sondern Einfachheit, was sie wollen ist Führung, Ordnung, Sicherheit…‘"


So der braune Mauritz in Tellkamps "Eisvogel".


Mauritz nun verführt den gescheiterten Philosophen Wiggo Ritter zur rechten Gesinnung – und aus dieser Wendung des Romans drehte der ZEIT-Autor Thomas Assheuer dem Autor Tellkamp einen Strick.


"Dass Wiggo aus Angst und einem fanatischen Verlangen nach Sicherheit und Ordnung zum Rechtsradikalen wird – dies ist das Schonendste, was man über ihn sagen kann. Der Spiegel zitiert Tellkamp […] [2005] mit der Bemerkung, diese Figur sei ihm beim Schreiben oft sehr nahe gekommen und er habe sich von Wiggo innerlich distanzieren müssen. Das ist ein rühmenswert ehrlicher Satz, denn er beichtet die Angst des Autors vor seiner eigenen Verführbarkeit. Der Schoß ist fruchtbar noch."


Missmut über die Härte nicht nur dieser Debatte äußerte Andreas Rüttenauer in der TAGESZEITUNG.


"Es wird scharf geschossen in diesen Zeiten. Auch verbal. Statt Diskussionen gibt es Gefechte. Dabei sitzen die Kontrahenten in ihren Schützengräben und wollen sie partout nicht verlassen. Lieber einfach abdrücken."


Das klingt vielleicht ein bisschen läppisch….

Weimarer Verhältnisse in Deutschland?


Aber wissen Sie was? Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG hat den Politikwissenschaftler Herfried Münkler interviewt, gewiss kein Panikmacher.


Es ging es um Europa und Nationalismus, um Merkel, Tellkamp und die AfD. Und dann stellte die NZZ die Gretchenfrage:


"Drohen Deutschland wieder Weimarer Verhältnisse?"


Antwort Herfried Münkler: "Ja. Es brennt noch nicht so, wie es 1932 gebrannt hat. Aber der Wurzelgrund ist da." -


Liebe Hörer, angesichts all dessen könnte man diesen Sonntag so verbringen, wie es in einer Überschrift im Berliner TAGESSPIEGEL stand… Doch wir raten Ihnen, verbringen Sie ihn lieber nicht: "Mit Bauchschmerzen".
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