Die CDU in der "Cyber-Zwickmühle"
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Sind die Klickzahlen für das YouTube-Video von Rezo Ausdruck einer Social-Media-Demokratie? Oder ist das, was was nach Jugendbewegung aussieht, dem Wesen nach eventuell doch nichts anderes als Populismus 4.0? Dieser Frage widmet sich die "FAZ".
"Ihr versteht's uns einfach nicht", titelte die Tageszeitung DIE WELT. Das klang so, als würde ein missverstandener Österreicher zu ignoranten Deutschen sprechen. Tatsächlich aber war es der WELT-Autor Dirk Schümer, geboren in Nordrhein-Westfalen, der erklärte: "Das Strache-Video über das Treffen mit der angeblichen Oligarchentochter ist nicht Ausdruck rechter Gesinnung, sondern bezeugt nur die Mentalität aller Wiener Parteien: Es geht ums Staatskassenplündern."
Und weiter lehrmeisterte Dirk Schümer: "Was die Deutschen am österreichischen Anderssein so partout nicht begreifen, ist die zuweilen 'ungustiöse', aber sozialpolitisch gelungene Einbindung des rechten Randes. Inzwischen funktionieren nämlich alle drei dominierenden Parteien weitgehend sozialdemokratisch, also umverteilerisch und klientelistisch."
Über "austriakische Intrigenkultur"
Die Wochenzeitung DIE ZEIT ließ sich die austriakische Intrigenkultur lieber von dem qua Geburt legitimierten österreichischen Schriftsteller und Regisseur David Schalko erklären:
"Ich kriege ständig Mails, in denen steht: Das ist ja von dir, das ist dein Drehbuch. Aber ich kann Ihnen versichern: Von mir stammt das Video nicht. Und ich wäre auch nicht stolz darauf. Aber ja, ich kenne das österreichische Polit-Milieu, diese Gier, diese Bereitschaft zur Korruption. Das alles fing ja nicht mit Strache an. Man braucht nicht besonders viel Fantasie, um sich diverse FPÖ-Politiker in ähnlichen Situationen vorzustellen. Auch Leuten wie Gerhard Schröder traut man eine ähnliche Machtobszönität zu. In sehr primitiver Form ist es doch ein Abbild der Verdorbenheit eines politischen Milieus."
Ein-Personen-Sendestationen mit großer Reichweite
Kaum weniger beachtet als das Strache-Video wurde hierzulande das Video des YouTubers Rezo. In der TAGESZEITUNG feixte Michael Brake: "Nein, ich habe das Rezo-zerstört-die-CDU-Video nicht gesehen. Also: nicht komplett. Hey, es ist 55 Minuten lang! Wer hat bitte so viel Zeit? Ja wohl nur Leute unter 30. Alle anderen denken sich: 55 Minuten, danach bin ich schon fast tot."
Dann wurde der TAZ-Autor Brake ernster: "Auch wenn ich es natürlich sympathisch finde, dass jemand die CDU argumentativ auseinandernimmt, bin ich doch leicht überfordert von Ein-Personen-Sendestationen mit einer Reichweite, bei der es früher irgendeine Form von redaktionellem Korrektiv gab." Und schließlich, liebe TAZ-Fans: Hört und staunt!, nahm Brake die CDU in Schutz: Sie habe gar keine Chance gehabt, nicht wie ein "Volltrottel" dazustehen:
Gelenkt durch einen Shitstorm
"Aussitzen? Ignorant. Mit den gleichen Mitteln antworten? Unglaubwürdig. In irgendeiner Form darlegen, wo Rezo sich geirrt hat? Besserwisserisch. Ein elfseitiges PDF als Antwort veröffentlichen? Peinlich. Sich hinstellen und sagen: Hey, der junge Mann hat einfach in vielen Punkten recht, wir sind ein ziemlicher Mistladen? Sehr einsichtig, aber strategisch auch nicht wirklich klug, eventuell. Es ist irgendwie alles falsch. Eine Cyber-Zwickmühle."
Noch unduldsamer mit Politik à la Rezo zeigte sich die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG:
"Da wird postuliert, ex cathedra gesprochen, bei der Sache bleibt es selten, gerne wird es persönlich, und am Ende haben wir ein Stadium erreicht, das die frühere Grünen-Europaabgeordnete Helga Trüpel 'Governance by Shitstorm' nennt. Ihre Partei profitiert zurzeit ganz außerordentlich von dieser Social-Media-Demokratie, die nach einer Jugendbewegung aussieht, dem Wesen nach aber nichts anderes als 'Populismus 4.0' ist."
Alt gegen jung
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG machte sich Gedanken über die Reaktionen der Alten auf die Attacken der Jungen:
"Bemühte Verweise auf 'Profis', denen der Klimaschutz zu überlassen sei, oder der Verweis auf deutsche Schlüsselindustrien und Arbeitsplätze können einen jungen Menschen, der das Erreichen seines 50. Geburtstag gefährdet sieht, kaum beruhigen. Die Attackierten laden die Neubauers, Thunbergs und Rezos nun in absolutionsheischender Zwangsumarmung auf alle zur Verfügung stehenden Podien. Die Hoffnung hierbei: Dass sich das überbordende Selbstbewusstsein, der Drang hin zu unmittelbaren Veränderungen hier zurück in bekömmliche Diskurshäppchen eindampfen lässt, in 'sinnvolle Denkanstöße', die aber doch bitte schön nicht den Status quo in Frage stellen, weil Klimaschutz ist doch seit 30 Jahren die Top-Priorität, liebe Kinder." Sarkastisch: Die SZ-Autoren Theresa Hein und Quentin Lichtblau, beide selbst recht jung.
Klimaschutz als Generationenfrage
"Das Klima kippt, und die soziale Balance kippt mit", konstatierte die FAZ, in der die Politökonomin Maja Göpel und die Meeresforscherin Antje Boetius grundsätzlich wurden:
"Die Kosten der Verluste an Arten, Natur, Lebensqualität und Wirtschaftsgrundlagen steigen schnell. Leidtragende sind wir alle; vor allem aber die junge Generation. Klimaschutz als Generationenfrage tritt nun so offensichtlich zutage, dass eine Transformation unserer nicht nur naturwissenschaftlich und ökonomisch rational, technisch möglich und ethisch integer erscheint, sondern schlicht unvermeidlich wird." Maja Göpel und Antje Boetius in der FAZ.
Aufruf zum weltweiten Sexstreik
Wir bleiben politisch, kommen aber auf Intimes zu sprechen: "Ein Sexstreik macht noch keine Revolution" titelte die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, in der sich Sarah Pines Hollywoodstar Alyssa Milano vorknöpfte. Und zwar, weil Milano aus Protest gegen die maximale Verschärfung der Abtreibungsgesetze in einigen US-Bundesstaaten zum weltweiten Sexstreik der Frauen aufgerufen hatte. Pines wollte sich lieber gar nicht ausdenken, welcher Gedanke hinter Milanos Aufruf steckt:
"Er würde darauf hinauslaufen, dass Frauen mit sexuellen Handlungen männliche Friedfertigkeit kaufen. Und dass sexuelle Befriedigung nur Männern wichtig ist, Frauen nicht. Milano degradiert Männer zu lüsternen Wildschweinen – und Frauen zum Sextoy. Sie betrachtet Frauen aus der Perspektive derer, die in Frauen nur ein Mittel zur Lustbefriedigung sehen." Backpfeifen – mit Schmackes ausgeteilt von Sarah Pines in der NZZ.
Die Menschen sind also mal wieder im Zwist mit sich. Damit Sie aber trotzdem Chancen auf einen netten Sonntag haben, mag Ihnen der Ratschlag weiterhelfen, der in der TAZ Überschrift wurde: "Erst mal alles umarmen."