Aus den Feuilletons

Die Entkolonialisierung der Universität

Seminarzentrum in der Freien Universität in Berlin.
Seminarzentrum in der Freien Universität in Berlin. © picture-alliance / dpa-ZB / Jens Kalaene
Von Adelheid Wedel |
Studenten der FU Berlin wollen ihre Hochschule "entkolonialisieren". Den Studierenden ist aufgefallen, dass in der Vorlesungsreihe "Klimawandel in Afrika" kein afrikanischer Professor unterrichtet, meldet die "taz". Das Feuilleton der "FAZ" entschuldigt derweil Amerikas Intellektuelle.
"Stellen Sie sich vor, Sie gehen zu einer Vorlesung zum Klimawandel in Europa. Und alle Vorträge werden von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus Afrika gehalten. Die Vorlesung würde nicht ernst genommen." Dieses Gedankenspiel nahm Lilian Seffer in der Tageszeitung TAZ zum Ausgangspunkt einer Petition. An ihrer früheren Hochschule, der Freien Universität Berlin, passiert derzeit genau das, nur umgekehrt. In der Vorlesung "Klimawandel in Afrika" unterrichtet niemand aus Afrika:

"Das Fehlen afrikanischer Stimmen wollen Lilian Seffer und ihre Mitstreiter nicht länger hinnehmen. An acht Donnerstagen sollten acht verschiedene Redner hinterm Pult stehen, alle sind weiß." Studierende und Alumni der FU haben nun eine Petition mit dem Titel "Die Universität entkolonialisieren" auf den Weg gebracht. Sie fordern u.a., dass Studierende die Möglichkeit bekommen, auch die Perspektiven afrikanischer Forscher kennenzulernen: "Den Initiatoren geht es um mehr als nur um die Ringvorlesung zum Klimawandel, kommentiert Helen Müller. An deutschen Hochschulen werde zu oft über Afrika gesprochen, ohne die Perspektive der Bewohner des Kontinents einzubeziehen."
Authentische Stimmen, das ist es, was zählt. Ein aktuelles Beispiel dafür liefert – ebenfalls die taz – mit dem Porträt der marokkanisch-französischen Schriftstellerin Saphia Azzeddine. Die 1979 in Marokko geborene Autorin legt jetzt mit "Bilqiss" ihren dritten ins Deutsche übersetzten Roman vor. Die Wirklichkeit im Roman ist hart und erbarmungslos, meint die Rezensentin Elise Craton. Weiter schreibt sie: "Das Land, in dem die Steinigung als Todesstrafe praktiziert wird, in dem ein radikaler Islam sich breit macht und die Präsenz von US-Soldaten als ungerechtfertigt angesehen wird – ja, das könnte der Irak sein oder Afghanistan."

Saphia Azzeddine gibt zu Protokoll: "Meine Figuren sind nicht da, um geliebt zu werden oder die Menschen mit edlen Absichten hinter sich zu versammeln. Sie sollen stören, uns mit Fragen überhäufen – und nicht zuletzt zum Lachen bringen." "Bilqiss", aus dem Französischen übersetzt, ist jetzt im Berliner Wagenbach Verlag erschienen.

"Ich hänge zu sehr an diesem Land"

Auch die Tageszeitung DIE WELT macht uns mit einer authentischen Stimme bekannt. Paul Jandl stellt den ungarischen Schriftsteller László Darvasi vor. Er lebt in Budapest. Und aus dieser beobachteten Nähe bekommt seine Aussage Gewicht:
"Das, was jetzt in Ungarn geschieht, macht mich fassungslos, sagt er. Was jetzt aus dem Land geworden ist, haben sich nicht einmal die vorstellen können, die Viktor Orbán gewählt haben. Ich müsste eigentlich aus diesem Land weggehen. Und warum tun Sie’s nicht? fragt Jandl. Darvasi: Ich hänge sehr an diesem Land. Die Schwierigkeit ist: Ungarn ist nie das, was es ist. Es ist ein doppelter Boden. Ungarn ist heute eine Schein-Land. Es passiert etwas, aber in Wirklichkeit ändert sich nichts. Es herrsche eine Stimmung der Resignation und der Melancholie, erzählt Darvasi. Und: Ich wüsste nicht, wo ich sonst hingehen sollte. Ich kann mich nicht sattsehen an diesem Ungarn. Vielleicht ist es immer nur Ungarn, von dem ich schreibe, auch wenn es um Amerika, Indien oder Jesus geht. Auf die scherzhafte Zwischenfrage: Auch Jesus war ein Ungar, nicht nur Orbán? kontert Darvasi: Bestimmt. Und die Regierung wird demnächst die Originalversion der Bibel hervorzaubern. Auf Ungarisch geschrieben."
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG arbeitet Bernd Hüppauf heraus: "Amerikas Intellektuelle sind nicht schuld an Donald Trump." Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2007 lehrte der Autor Germanistik an der New York University, ist also bestens vertraut mit der Intellektuellenszene der USA. Er schreibt: Zum Jammer, die kritischen und liberalen Intellektuellen hätten versagt, gibt es keinen Anlass. Denn – so seine These – "Intellektuelle mit öffentlicher Wirkung gibt es in den Vereinigten Staaten nicht. Für urbane Intellektuelle bieten Kultur und Gesellschaft keinen Nährboden. Die Frage, wie es überhaupt möglich war, dass ein anti-demokratischer Demagoge alle Hürden auf dem Weg ins Weiße Haus überwinden konnte, sei eine Frage nach der Krise der Demokratie, nicht nur in den Vereinigten Staaten."
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