Aus den Feuilletons

Die fürsorgliche Fledermaus

06:06 Minuten
Zwergfledermaus im Flug
Die Fledermaus ist seit der Coronakrise in Verruf geraten. Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ verteidigt das Flugtier. © imago images / blickwinkel
Von Tobias Wenzel · 11.04.2020
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Die Fledermaus hat ein Imageproblem, sie gilt als mögliche Quelle des Coronavirus. Dabei ist sie ein fürsorgliches Wesen, berichtet die „FAS“. Das Weibchen säugt seinen Nachwuchs, bis er 80 Prozent des Eigengewichts erreicht hat.
Der erste Schreck der Pandemie ist weg: Die Feuilletonisten dieser Woche wirkten, vielleicht auch in Vorfreude auf die Schoko-Osterhasen, lebens- und auch mal angriffslustig, oft inspiriert und sogar zum Scherzen aufgelegt.
Die TAZ gab ihren Lesern "Tipps fürs Pandemie-Styling" und stellte in Illustrationen und in Texten typgerechte Schutzmasken vor. Darunter eine Maske mit aufgedrucktem Sinnspruch. Wer so etwas trägt?
"Menschen, die Wandtattoos lieben. Im Schlafzimmer steht: 'Beginne jeden Tag mit einem Lächeln', im Bad: 'Sei du selbst' – und im Wohnzimmer: 'Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum'", erläuterte die TAZ und gab außerdem zur Sinnspruch-Maske zu bedenken: "Menschen reagieren in Krisenzeiten empfindlich auf Klugscheißer – vor allem, wenn ihnen die eigene Sterblichkeit vor Augen geführt wird." Also dann vielleicht doch lieber einen schlichteren Mundschutz tragen.

Mundschutz als radikaler Gefühlsverberger

Was "ist eigentlich der Plural von Mundschutz?", fragte der Sprachdenker und Linguist Jürgen Trabant im TAGESSPIEGEL und schlug vor: "Mundschütze". Man meinte sein Kichern zwischen den Zeilen wahrzunehmen. Aber nur gedämpft durch seinen eigenen Mundschutz. Durch den Mundschutz verstehe man sein Gegenüber nicht mehr. "Der Mundschutz ist nicht nur ein Tonverderber, sondern auch ein radikaler Gefühlsverberger", schrieb der Linguist.
"Die Maske verdeckt unser Lächeln, das die Bitte oder den Dank unterstreicht – und auch den Zorn sieht niemand mehr." Aber diese Erfahrung lasse uns erkennen, wie wertvoll "das ungeschützte Miteinander-Sprechen" sei: "Antlitz ist etymologisch das Entgegenleuchtende. Das fehlt uns hinter der Maske. Es wird ein Glück sein, wenn Klarheit und Helligkeit wieder zurückkehren."

Moralische Kriegserklärung

Einige würden gerne dem Rammstein-Sänger Till Lindemann einen besonders schallisolierenden Mundschutz verpassen. "Was ist schlimmer, schlechte Gedichte oder ihre dumme Interpretation?", fragte rhetorisch Jan Küveler in der WELT. Denn für ihn war klar: die dumme Interpretation. In dem neuen Lyrikband Lindemanns findet sich ein Gedicht, in dem eine Frau, nachdem sie K.-o.-Tropfen verabreicht bekommen hat, vom männlichen lyrischen Ich vergewaltigt wird.
Der Radiojournalist und Schriftsteller Carsten Otte sprach im SWR von einer "zu Papier gebrachten Straftat" und forderte indirekt Konsequenzen. Lindemanns Verse, so Otte, müssten nicht "interpretiert" werden. Der "verachtungswürdige Gehalt dieser Macho-Dichtung" sei ja klar zu erkennen. Seine Fans könnten das sogar als "Handlungsanweisung" lesen. Es werde "hier mit zweierlei Maß gemessen".
"Fragt sich nur, von wem", konterte Jan Küveler. "Ottes Argumentationskette strotzt so von Logik- und Kategorienfehlern, dass man keinem Vergewaltigungspoeten empfehlen möchte, seine Opfer damit ans Bett zu fesseln." Nach der Logik Ottes müsse man nicht nur Lieder von Falco und Michael Jackson, sondern auch Weltliteratur verbannen.
Das Fazit Küvelers klang wie eine moralische Kriegserklärung an seinen, wie er es formulierte, "geschätzten Kollegen": "Wir erkennen, dass die einzig entmündigende Lesart diejenige Ottes ist. Er kippt dem Leser sozusagen Rohypnol ins Glas, indem er ihm nicht zutraut, sich von Lindemanns Lyrik nicht vergewaltigen zu lassen."

Die Zukunft gehört der Kontaktlosigkeit

Hätte die Türklinke Gefühle, käme sie sich auch gerade vergewaltigt vor. Wird sie doch als potenzieller Virenträger nur noch lieblos-umständlich betätigt. Sogar mit dem Po, wie Gerhard Matzig in einem nicht ganz so ernst gemeinten Video im Netz entdeckt hat. Matzig setzte in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zu einem Lob auf die Türklinke an, gab aber kurz darauf zu, die Zukunft gehöre der Kontaktlosigkeit.
Zum Beispiel einem Hightech-Waschtisch im "No-Touch-Design": "Schade, dass der Hersteller für seine edlen Armaturen", so Matzig, "vornehmlich 'Lounges', 'Luxushotels' oder 'die gehobene Gastronomie' im Blick hat. Die Berührungslosigkeit hätte man auch einem Wildtiermarkt in Wuhan gegönnt."

Ehrenrettung der Fledermaus

Dort konnte man schmackhafte Fledermäuse kaufen. Die haben als mögliche Quelle des Coronavirus gerade ein Image-Problem. Deshalb versucht sich Cord Riechelmann in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG an einer Ehrenrettung. Und zwar der Zwergfledermaus.
Ein faszinierendes Tier: "Das Gewicht der Jungen beträgt bei der Geburt 20 Prozent des Körpergewichts der Mutter, und die säugt das Baby, bis es 80 Prozent des Muttergewichts erreicht hat. Auf den Menschen übertragen, hieße das: Ein Baby wöge bei der Geburt zwölf Kilogramm und würde bis ins Teenageralter gesäugt."

Mundschutz per Post

Aber auch so haben es menschliche Mütter schon schwer genug. Wegen der Coronakrise müssen sie jetzt auch noch für ihre Kinder "Mama-Masken" herstellen. Wer genau und warum die trägt, verriet die TAZ in ihrer Pandemie-Styling-Beratung:
"Die es nicht auf die Reihe bekommen, sich eine Maske zu besorgen, während Mundschutz längst auf Twitter trendet. Und dann plötzlich dräut Maskenpflicht, was nun? Also schickt Mama – oder Papa – fix einen selbst genähten Mundschutz mit der Post. Zusammen mit einer Packung Nudeln."
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