Aus den Feuilletons

"Die Griechen haben noch nicht begriffen, wie Europa funktioniert"

Die griechische Flagge weht neben den Statuen von Athene und Apollo vor der Akademie von Athen
Die Griechen haben Europa nicht verstanden, glaubt der griechische Schriftsteller Petros Markaris. © picture-alliance / dpa / Orestis Panagiotou
Von Hans von Trotha |
Europäer sind wir Griechen nur solange Geld aus Brüssel fließt, erklärt der Schriftsteller Petros Markaris in der "FAZ". Die "Süddeutsche Zeitung" analysiert selbstkritisch die Rolle von Journalisten in der Griechenlandkrise.
Literatur hat es auch nicht leicht heute. Tim Neshitov stellt in der SÜDDEUTSCHEN Sara Bow vor. Er nennt sie eine "Avon-Beraterin der Literatur". Sie ist "Booktuberin, das heißt: Sie sagt auf Youtube, was man lesen soll – und verdient damit Geld. Die junge Unternehmerin", so Neshitov, "ist Teil einer boomenden Empfehlungsökonomie im Netz, die zwischen Büchern und Lippenstiften keinen Unterschied macht." Neshitov zitiert Frau Bow mit dem entwaffnenden Satz: "Beim 'Literarischen Quartett' hatten sie Ahnung. Ich habe meine Fans und meinen Umsatz". "Bei Sara Bow", lesen wir, "klingt Literaturkritik so: 'Mir hat das Buch sehr, sehr, sehr, sehr, sehr gut gefallen. Sehr, sehr, sehr lustig. Also, keine Ahnung, es ist so: Es ist nicht lustig, aber die Wendung ist lustig, irgendwie, ja. Aber das Buch ist eigentlich nicht lustig. Es ist eher ein bisschen traurig."
Womit wir, keine Ahnung, irgendwie schon beim Thema wären, also bei Griechenland, das Thema des Tages bleibt. Aber eine Bemerkung noch zur Literatur, verbunden mit der Bekräftigung der Regel, dass Wortspiele in Überschriften meistens nicht wirklich witzig, fast immer irreführend und immer wohlfeil sind. Das Knöllchen des Tages geht an die FAZ für "Der Nölprinz". Gemeint ist Clemens Meyers Art, wie er, Zitat, "seine Frankfurter Poetik-dozentur auf die Bühne bringt".
"Man muss sich", zitiert Lena Bopp Clemens Meyer, "eben auch angreifbar machen." Bopp fügt zwar hinzu: "Gesagt, getan", bleibt dann aber echte Beispiele schuldig, sieht man mal vom letzten Vorlesungstermin ab, der, so Bopp "letztlich in zusammenhanglosem Vorlesen von Wikipedia-Einträgen endete, etwa zum Retsina, einem", wie die Autorin freundlicher-weise erläutert, "griechischen Wein". Ist ja schon gut. In der Griechenlandkrise machen sie sich ja auch angreifbar. Und zwar alle, wie es scheint.
Andreas Zielcke knöpft sich in der SÜDDEUSTCHEN den IWF vor. "Griechenland", heißt es da, "steht längst unter der Vormundschaft der Geldgeber. Wer aber", fragt Zielcke, "ist verantwortlich für die auferlegten Reformen? Für ihr Scheitern?" Dazu ein großes, düsteres Bild von Christine Lagarde, wie sie die Hände hebt. Zielcke meint: "Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat sich die griechische Situation nicht trotz, sondern wegen der auferlegten Austerity-Politik verschlechtert. Den Griechen vorzuhalten, dass sie zu moralisierend auf die Krise reagieren, hat seine Berechtigung. Aber viel folgenreicher ist es, wenn die Geldgeber zu ideologisiert agieren. Wenn sie nicht zum Realismus fähig und verpflichtet sind, wer dann?"
Die FAZ hat den Schriftsteller Petros Markaris im Interview. "Wir Griechen", sagt der, "wurden zu überzeugten Europäern, als nach 1981 die Brüsseler Geldquellen für uns zu sprudeln begannen. Jetzt, wo der Topf leer ist, sind wir gegen Europa, weil Europas Forderungen uns zu zerstören drohen. Beide Male haben wir nur das eigene Land im Blick. Die Griechen haben noch immer nicht begriffen, wie Europa funktioniert." Auf die Nachfrage, ob Europa denn begriffen habe, wie Griechenland funktioniert?, antwortet Markaris: "Nein, leider nicht." Und auf die Frage, ob es noch Hoffnung gibt: "Die Griechen haben immer große Hoffnungen, die mit großen Enttäuschungen enden. Es tut mir sehr leid, aber so ist es immer gewesen."
Als sei das noch nicht eindeutig genug, bringt die FAZ auch noch den Historiker Magnus Brechtken. Für den ist völlig klar, wer sich da angreifbar macht: "Die Summe aller Hand-lungen der griechischen Regierung signalisiert vor allem eines: Sie ignoriert offensichtlich bewusst die über Jahrzehnte entwickelten Kulturprozesse des allseitigen Aushandelns." Und: "Für die EU insgesamt geht es um historische Verantwortung. Sie muss sich gegen nationalistischen Populismus stellen, der, wenn er einmal Erfolg hat, die Fundamente der über siebzig Jahre mühsam geschaffenen Kultur des europäischen Projekts zu unterspülen droht."
Alex Rühle sieht in der SÜDDEUTSCHEN noch eine ganz andere Gruppe, die sich fortgesetzt angreifbar macht, und zwar, indem sie seit Jahren auf ein und derselben Metapher herumkaut: "Man kann sagen", schreibt er, "dass wir Journalisten den Spitzer (…) nicht mehr aus der Hand gelegt haben und alles in Griechenland zuspitzen, was sich finden lässt (…) Die Lage", so Rühle, "in Griechenland ist schrecklich, aber wenn wir nur immer weiter zuspitzen, könnte es sein, dass wir eines Tages völlig abstumpfen."
Und dann lassen wir uns am Ende von einer der charmanten Avon-Beraterinnen auf Youtube erklären, wer es, keine Ahnung, wirklich vergeigt hat in Griechenland.
Mehr zum Thema