Die Helden der Freiheit müssen beschützt werden
Gleich zwei Geschichten in den Feuilletons erzählen davon, wie es kritischen Stimmen in autoritären Gesellschaften ergehen kann, wenn sich wahlweise das Rad der Geschichte oder der Wind dreht – was im Falle Kashoggis und Serebrennikows dasselbe ist.
In der FAZ geht Joseph Croitoru dem Fall des "vermutlich getöteten saudischen Journalisten Jamal Khashoggi" chronologisch nach.
"Khashoggis bekannte Vorbehalte gegen die Verfolgung der Muslimbrüder und ihrer Sympathisanten – zunächst in Ägypten nach dem Militärputsch 2013, dann auch in Saudi-Arabien – resultierten" demnach "aus Beobachtungen, die in seinem 2013 veröffentlichten Buch 'Frühling der Araber – Zeit der Muslimbrüder' dokumentiert sind. Die darin versammelten Pressebeiträge offenbaren, wie sehr Khashoggi die spontanen Volkserhebungen gegen die arabischen Diktatoren bewegten und dass er sich im Hinblick auf die Zukunft dieser Demokratiebewegung optimistisch gab. Als das Buch erschien, hatte sich jedoch das Rad der Geschichte schon weitergedreht. Der Riss in der arabischen Welt zwischen Islamisten und Säkularisten wie Monarchisten wurde noch tiefer. Khashoggi wurde seine Sympathie für die Muslimbrüder, die er von da an als zu Unrecht Verfolgte konsequent in Schutz nahm, im konservativen und säkularen Lager nie verziehen."
Vertane Chancen
Und Khashoggi meinte, der saudische "Kronprinz Muhammad müsse endlich seine Obsession bei der Verfolgung des politischen Islams aufgeben und stattdessen versuchen, dessen Kräfte, die in den meisten arabischen Staaten doch beim Volk auf erhebliche Unterstützung träfen, politisch zu integrieren", wie Croitoru schreibt.
Dass Kashoggi dann auch noch "immer größere Sympathien für den türkischen Präsidenten entwickelte muss Riad", so Croitoru weiter, "ein besonderes Ärgernis gewesen sein. Als er am 28. September das saudische Konsulat aufsuchte, bot sich den Saudis eine günstige Gelegenheit – "
Dem scheint vorangegangen zu sein, was sich in der anderen Geschichte folgendermaßen liest:
"Während fast einem Jahr in der Untersuchungshaft hatte er viel Zeit, darüber nachzugrübeln, wie er und seine Kollegen in die Mühlen des Justiz- und Strafsystems geraten sind. Er erklärt es sich so, dass irgendjemand das Kommando "Fass!" gegeben hat, aus Eigennutz oder aus Kränkung. Dann beginnt das System zu arbeiten, die Untergebenen erfüllen ihre Aufgaben ohne moralische Hemmungen."
Gesagt hat das der Regisseur Alexej Malobrodskij, Mitangeklagter in dem am Mittwoch beginnenden Prozess gegen Kirill Serebrennikow, den Julian Hans in der Süddeutschen den "spektakulärste(n) Prozess gegen russische Künstler seit dem Ende der Sowjetunion" nennt.
Überraschende Abkehr von der Öffnung
"Wenn Malobrodski", schreibt Julian Hans, "davon erzählt, wie alles begann, klingt das wie eine Geschichte aus einer anderen Epoche. Damals war Dmitrij Medwedew Präsident, ein Mann mit zumindest gemäßigt liberalen Ansichten und einer technokratisch-progressiven Agenda. Sein Kulturminister Alexander Awdejew war ein erfahrener Diplomat, ihm lag an internationalem Austausch. Serebrennikows Idee für eine Plattform, die zeitgenössisches Theater fördern und bekanntmachen sollte, stieß auf Interesse. Der Erfolg war überwältigend. Der Regisseur wurde an die Komische Oper Berlin eingeladen und an die Stuttgarter Oper, seine Filme auf den Festivals in Cannes und Locarno gezeigt. Derweil drehte zuhause der Wind. Mit seiner Rückkehr in den Kreml hatte Wladimir Putin 2012 eine konservative Wende eingeschlagen. 'Traditionelle Werte' sind angesagt und der neue Kultusminister Wladimir Medinskij sieht es als seine Aufgabe, sie im Verbund mit dem orthodoxen Klerus gegen moderne Exzesse und westliche Einflüsse zu verteidigen."
Fazit kann da ja nur sein, dass man erkennt und anerkennt, wie wichtig und wie schützenswert all jene sind, die uns darauf hinweisen, wo am Rad der Geschichte herumgedreht wird, und die Witterung aufnehmen, wenn sich der Wind in die falsche Richtung dreht – und zwar, bevor er das getan hat.