Aus den Feuilletons

Die Komplikationen der Vereinfachung

Fotografen richten ihre Objektive auf eine Bühne
Fotografen richten ihre Objektive auf eine Bühne © imago stock&people
Von Hans von Trotha |
Für die Feuilletons von "FAZ", taz und "Süddeutsche" ist das Attentat von Berlin zentrales Thema, aber die Blätter begleiten dies auch mit einer Debatte um das Ringen um Wahrheit in den Medien. Und im Zentrum dieser Betrachtungen: Russland, die Türkei, die USA und natürlich jetzt Deutschland.
"Die Angst ist groß, dass Russland Wahlen manipuliert", heißt es in der SÜDDEUTSCHEN. "Doch was geschah wirklich?"
Dieser Auftakt enthält ein Versprechen. Das können Andrei Soldatov und Irina Borogan dann doch nicht ganz halten. Aber ihre Darstellung russischer Geheimdienstaktivitäten im Internet enthält viel Erhellendes, zum Beispiel die Beobachtung:
"In den frühen Nullerjahren verloren die etablierten Medien … das Vertrauen ihrer Leser. Dieser dramatische Wandel vollzog sich in Russland und Amerika gleichzeitig, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen. In den Vereinigten Staaten zerstörte der Irakkrieg den guten Ruf der Medien. In Russland … sahen viele Russen Journalisten und die freie Presse als Inbegriff jener liberalen Werte, die das Land nach dem Ende der Sowjetunion überflutet hatte. Dabei fühlte sich ein großer, verbitterter Teil der Gesellschaft vom Westen betrogen."

Ein wohl künftig ständig präsentes Thema

Der Vertrauenslust in Medien aller Art im Wortsinn, also: Vermittler von Fakten, Werten, womöglich sogar Wahrheiten, wird uns als zentrales Thema so schnell nicht, vielleicht nie wieder verlassen. In der TAZ nimmt es der Schriftsteller Alper Canıgüz im Rahmen einer eindrucksvollen Reihe auf. Die TAZ dokumentiert eine für die Beteiligten existenziell gefährliche Aktion türkischer Autoren, die die Kolumne der seit August inhaftierten Schriftstellerin Aslı Erdoğan weiterführen, einer "Symbolfigur des Widerstands gegen Recep Tayyip Erdoğan". Canigüz schreibt:
"In der Türkei haben wir heute eine Regierung, welche die Realität selbst zur Verschwörung gegen sich erklärt – und sie vielleicht auch tatsächlich als solche wahrnimmt. Die rechts-extremen und rassistischen Tendenzen, deren Aufstieg wir derzeit auch in anderen Teilen der Welt beobachten, werden von den Meistern der inzwischen als `postfaktische Politik´ betitelten Disziplin produziert, gestärkt und in Umlauf gebracht. Die Rede ist von einer Politik, die nicht auf Wahrheiten basiert, sondern auf den Ängsten ihrer Zielgruppe und die deren chauvinistische Sprache beherrscht. In Gesellschaften wie der unsrigen, wo es de facto nie einen aufrichtigen Bezug zur Demokratie gegeben hat, sind die Konsequenzen einer solchen Politik zweifellos verheerender als anderswo."
In der FAZ schreibt der türkische Schriftsteller Bülent Mumay:
"Innerhalb von achtzehn Monaten sind bei Terroranschlägen in der Türkei 460 Menschen getötet worden. … Jedes Mal verweisen zuerst Politiker und daraufhin deren Propagandainstrumente auf einen unklaren Täter, der als 'ausländische Kraft', umschrieben wird. Bei dieser handelt es sich mal um die Vereinigten Staaten, mal um Europa. Mitunter wird auch Deutschland bezichtigt. Mit immer demselben Klischee, das besagt: 'Wer den Aufstieg der Türkei nicht erträgt, bedient sich des Terrors als Waffe.'"

Komplexe Sachverhalte - vereinfachen aber nicht verdrehen

Die ganz große Gefahr sogenannter "postfaktischer" Politik liegt in der dramatischen Vereinfachung komplexer Sachverhalte, für die der dauertwitternde Trump emblematisch steht und die dem dauerwütenden Erdogan als Rechtfertigungen für sein tyrannischen Regime dienen. Vor diesem Hintergrund erhält eine Frage zusätzliche Brisanz, die Sandra Kegel in der FAZ stellt, nämlich: "Gibt es ein Menschenrecht auf Vereinfachung?" Es geht um den "unheimlichen, schädlichen Erfolg eines wahrscheinlich gutgemeinten Projekts", schreibt Kegel.
"Eine neue Sprache hält Einzug in Deutschland, die sich … anschickt, unsere komplizierte Welt in leichte Syntax zu zerlegen", die sogenannte "leichte Sprache" - "eigentlich dazu gedacht, Erwachsenen mit Lese- und Schreibschwäche, aber auch Nichtmuttersprachlern die Teilhabe am öffentlichen Diskurs zu ermöglichen, wird sie vom Bund gefördert. … Die Sätze sind kurz und transportieren jeweils nur eine Aussage. Es gibt weder Passivkonstruktionen noch Fremdwörter, weder Konjunktiv noch Genitiv. … Ein Satz wie '1789 begann die französische Revolution' … würde … heißen: 'Vor langer Zeit waren die Franzosen böse auf ihren König.'"
So förderungswürdig die Barrierefreiheit öffentlicher Informationen ist – greift nicht in die Sprache ein, egal wer Ihr seid, und egal was Ihr wollt! Vor allem: Besteht nicht auf Vereinfachungen! Sie sind nicht Ursache aber Mittel jedweder Form der Tyrannei.
Mehr zum Thema