Aus den Feuilletons

Die Öffentlichkeit als Demokratie-TÜV

Von Gregor Sander |
Die "Zeit" sieht die Debatte um Sibylle Lewitscharoff als gelungenen Prüfstein für die Meinungsfreiheit. Ansonsten verabschieden sich die Feuilletonisten von Harald Schmidts Late Night Show.
Die Wochenzeitung DIE ZEIT beschäftigt sich in mehreren Artikeln mit Sibylle Lewitscharoff. Oder wie es in der Überschrift heißt: Mit dem "Skandal um die Schriftstellerin". Die hatte sich in einem Vortrag äußerst abfällig über die Reproduktionsmedizin und künstlich gezeugte Kinder geäußert. Lewitscharoffs Rede und die Reaktion darauf sind für Eva Menasse eine Art Demokratie-TÜV:
"Gemessen an dem, was in letzter Zeit alles geäußert wurde, steht es um die Meinungsfreiheit in Deutschland gar nicht schlecht. Denn es ist so banal wie wahr, dass sie sich erst dort beweist, wo es wehtut."
Adam Soboczynski hat die teilweise reuige Lewitscharoff in ihrer Berliner Wohnung besucht und legt, ebenfalls in der ZEIT, Wert auf die Feststellung:
"Ich kenne die Autorin, man muss dies im engmaschigen Kulturmilieu dazusagen, nicht gut. Ich kenne einige ihrer Bücher, die ich mag."
Beim Tee mit ihm bedauert Lewitscharoff noch einmal einige Passagen ihrer Rede, um dann festzustellen:
"Ich habe ausgeteilt, jetzt muss ich einstecken können. Öffentlichkeit ist ein Boxkampf, und das sollte sie auch sein."
Und in diesem Boxkampf greift Sibylle Lewitscharoff auch sofort wieder an:
"Offenes Drauflossprechen wurde früher eher akzeptiert als jetzt. Ganz definitiv. Es gehört zum Übel unserer Zeit, ständig wohlbehalten sprechen zu müssen, da sich jeder jederzeit gekränkt fühlen könnte. Wir sind schon eine Gesellschaft der beleidigten Leberwürste."
Längeres Schweigen hat sich die Büchnerpreisträgerin offensichtlich nicht auferlegt.
Dirty Harry tritt ab - als reicher Mann
Schweigen war auch nie ein Talent von Harald Schmidt. Nach 20 Jahren "Late Night Show" tritt er am Donnerstag ab, was alle Feuilletons bedauern.
"'Chefzyniker', 'Dirty Harry', ja ja, das auch, aber das war doch bitte nicht alles. Es gab klügere Leute im deutschen Fernsehen und auch musikalischere, gemeinere und auch lustigere, aber bei niemandem waren diese Halb- und Dreiviertelbegabungen so wunderbar austariert wie bei Schmidt, der mit seinem Geist genauso rücksichtslos prahlte wie mit seinen Unzulänglichkeiten."
- schreibtCornelius Pollmer in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und verweist die Schmidt-Fans ins Internet. Da sind alle alten Shows konserviert:
"Wer auf Youtube durch die Jahre von Schmidt spaziert, der sieht, dass für die Harald-Schmidt-Show gilt, was für eigentlich alle Moden gilt: Sie war nie so gut, wie in Zeiten des Hypes behauptet, und nie so schlecht, wie sie in den Phasen dazwischen gemacht wurde."
In der BERLINER ZEITUNG versucht es Ulrich Seidler zum Abschied seinerseits mit Zynismus:
"Jetzt, wo ihn alle, also wirklich alle, verlassen haben und Harald Schmidt zwar ein sehr reicher, aber ansonsten ganz normaler Herr Schmidt, Mitte 50, geworden ist, hat er das Beste vielleicht noch vor sich. Dazu: Viel Glück, Herr Schmidt!"
Der Moderator als Liedermacher
Der will nun vor wenigen Zuschauern Theater spielen. Fragt sich nur, wer sich dann um Themen wie diese kümmert: "Reinhold Beckmann macht Musik, ein ganzes Album davon sogar. Aber taugt es auch was?", fragt Edo Reents in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und wir wollen uns lieber nicht vorstellen wie Harald Schmidt diese Frage beantwortet hätte. Reents stellt fest.
"Stilistisch ist es vielseitig, Rock, Blues, Bar-Jazz, Swing, Bossa Nova, von Stephan Gade alles sehr filigran produziert. Wie gesagt: nicht gerade Led Zeppelin. Einsortieren würde man es wohl unter 'Liedermacher', man denkt an den besseren Stephan Sulke, an Reinhard Mey natürlich, aber auch an Paolo Conte oder Adriano Celentano. Der Ton, für den Beckmann mit leicht angerauter Stimme sorgt, ist entsprechend: mal sentimental, mal zärtlich, mal scharf."
So begeistert ist Edo Reents vom singenden Fernsehmoderator in der FAZ und ohne jedes böse Wort, dass man es kaum glauben kann.
Aber so können wir natürlich nicht enden und überlassen lieber zum wirklich allerletzten Mal das letzte Wort Harald Schmidt, wie ihn der BERLINER TAGESSPIEGEL zitiert:
"Hoeneß glaubt an einen Freispruch. Er hat zumindest heute Nachmittag 50.000 Euro drauf gewettet."