Aus den Feuilletons

Die politische Genialität von Trump

04:29 Minuten
Donald Trump macht ein komisches Gesicht.
Donald Trump konnte nationale Ressentiments intuitiv erspüren, sagt Schriftsteller Jonathan Franzen. © picture alliance/dpa/CNP/Jim LoScalzo
Von Arno Orzessek |
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Der Schriftsteller Jonathan Franzen ist kein großer Fan von Donald Trump. Das macht er in der "Welt" deutlich. Die politische Intuition des Noch-Präsidenten nötigt dem Autor allerdings Respekt ab.
Keine Erklärungen vorab – hören Sie bitte einfach nur zu: "Wie bloß, oh dear, soll man das jetzt in wenigen Zeilen unterbringen? Diese brennende, lebensbejahende, überbordende weibliche Energie, die einem hier aus jedem Bild entgegen strahlt? Diesen Witz, so scharf, dass man Pickel damit enthaupten könnte, diese Bosheit, diesen Teenager-Überschwang, diese schockartige Klarheit der Beobachtung? Sagen wir es mal so: Die britische Coming-of-Age-Komödie 'How to Build a Girl' ist eine Story über junge weibliche Selbstermächtigung, die alles, was man bisher in dieser Art gesehen hat, auf die Sprengkraft von Pixi-Büchern zusammenschrumpfen lässt."
Es ist Tobias Kniebe, dem in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG der fulminanteste Artikelauftakt des Tages gelingt. Falls Sie Kniebes Urteil glauben und den Film sehen wollen, hier nähere Infos: Regie führt Coky Giedroyc; die britische Autorin und Feministin Caitlin Moran liefert Romanvorlage und Drehbuch; anzuschauen ist das Werk auf DVD, iTunes, Amazon und Google Play.

Lob für Donald Trump

Unter dem Titel "Ich war ein fettes Arbeiterklasse-Mädchen" steht in der SZ auch ein Interview mit Caitlin Moran, die folgende Ansicht vertritt: "Du hast eine Ausbildung genossen und gehst arbeiten? Du gehst wählen? Du bist der Meinung, dass eine Frau nicht der Besitz ihres Vaters ist? Und nicht von ihrem Ehemann vergewaltigt werden sollte? Dann bist du Feministin. Oder eben Feminist, denn für Männer gilt ja das Gleiche."
Feministischer als bei der Lektüre dieser Zeilen haben wir uns noch nie gefühlt. Wir haben allerdings den Verdacht, dass nach Morans Definition selbst ein Donald Trump als Feminist gelten könnte. Jener Trump, der in der Tageszeitung DIE WELT echt fettes Lob abbekommt.
Wie man jedenfalls glauben könnte, wenn man die Überschrift liest: "Donald Trump war auch ein politisches Genie". Eben das behauptet der Schriftsteller Jonathan Franzen. Seine Begründung: "Trump hat intuitiv gespürt, dass es unterhalb von Obamas persönlicher Popularität ein tiefes nationales Ressentiment gegen kulturelle und politische Eliten gab. Er konnte es intuitiv erspüren, weil er genau dieses Ressentiment selber gepflegt hat."

Kamala Harris als Philosophin

Insgesamt lässt der Schriftsteller Jonathan Franzen im WELT-Interview natürlich kein gutes Haar am neuerdings ergrauten Trump. "Trump interessiert sich immer und ausschließlich für sich selbst. Seine Ähnlichkeit mit einem greinenden Dreijährigen ist oft beschrieben worden und vollkommen zutreffend. Und doch ist er wie jeder Narzisst, der den Namen verdient, extrem verführerisch. Schauen Sie sich die 70 Millionen Amerikaner an, die für ihn gestimmt haben. Ich glaube, es ist wichtig, dass der Rest der Welt begreift, dass Trump lediglich der Ausdruck tieferer destabilisierender Entwicklungen ist."
Nun, man wird Trump zur Not gewaltsam aus dem Weißen Haus zerren und dann zieht Joe Biden dort ein. US-Vizepräsidentin aber wird Kamala Harris sein, die wiederum als Anhängerin der Philosophie von John Dewey gilt.

Demokratie ist der Inbegriff sozialen Lebens

Eben deshalb stellt Micha Brumlik in der TAGESZEITUNG eine "demokratietheoretische Relektüre" Deweys vor: "'Demokratie' erweist sich für Dewey eben nicht als eine beliebige unter mehreren Herrschaftsformen, sondern als Inbegriff jeden sozialen Lebens überhaupt. Gemeinschaftliches, auf Reziprozität, wechselseitige Anerkennung und gemeinsame Problemlösung ausgerichtetes Leben ist diejenige evolutionär erworbene Form, in der allein die menschliche Gattung ihre Intelligenz und ihre Problemlösungskapazitäten ausbilden konnte."
Der TAZ-Autor Brumlik bezweifelt zwar, dass Harris die zerrissenen USA im Sinne John Deweys verändern kann, er erklärt aber auch: "Sein Leben lang ein erklärter demokratischer Sozialist und Feminist, wurde (Dewey) auf seine alten Tage sogar ein entschiedener 'Kalter Krieger', der den Marxismus auch theoretisch ablehnte. Sollte Harris tatsächlich in dieser Tradition stehen, kann sie nur gewinnen."
Zu der weltweiten Plage mit der Initiale C fällt den aktuellen Feuilletons nicht allzu viel ein – unser Dank dafür ist ihnen gewiss. Das Unstrittige steht ohnehin in einer SZ-Überschrift. Sie lautet: "Wir müssen da durch."
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