Die riesige Spinne Europa
Die Sorge um Europa treibt die Feuilletons um: Griechenlands Komponistenlegende Mikis Theodorakis beklagt, Europa habe den Griechen jede Hoffnung geraubt. Und der Philosoph Jürgen Habermas fordert einmal mehr den Ausbau der EU zu einer politischen Union.
"Unser aller Leben hatte einmal einen natürlichen Rhythmus, den haben wir verloren", sagt Mikis Theodorakis im Gespräch mit Hansgeorg Hermann in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Der berühmteste Komponist Griechenlands und ein Liebling der Nation, wie ihn die Zeitung nennt, blickt nun, fast neunzigjährig, auf sein Leben zurück und spricht über die Situation in seiner Heimat. Für die Menschheit sagt er:
"Wir versinken in ungeheuren Geldbewegungen und einem Bombardement von Informationen, wir verlieren und vergessen unsere Menschlichkeit, unser Menschsein. Dabei haben wir Hunger auf echte Harmonie – nicht auf solche, die als Illusion daherkommt. Wir erleben heute das vielleicht größte Chaos, dem Menschen jemals ausgesetzt waren", setzt Theodorakis warnend fort.
Jeden Tag wird den Griechen die Hoffnung geraubt
"Wir hatten in Europa furchtbare Kriege, doch ich fürchte, diesmal ist es noch schlimmer. Das Chaos wird uns eingepflanzt, jeden Tag, und es lebt in jedem von uns. In diesem Moment unseres Gesprächs werden Menschen geschlagen und getötet, überall auf der Welt. Wir sind geworden, was wir nicht sein wollten."
Zur Situation in Griechenland befragt, spricht er von der unseligen Austeritätspolitik, die die Griechen ins Elend gestürzt habe. Und dann wieder ganz kämpferisch:
"Wenn man Druck macht auf ein Volk, dann steht es irgendwann auf."
Das sei an die Adresse jener gerichtet, die uns hier jeden Tag an die Wand stellen wollen. Das vom Geld dirigierte Europa erscheine ihm inzwischen "wie eine riesige Spinne, und jeder, der in ihr Netz gerät, ist verloren. Wo sollen wir Hoffnung hernehmen. Man raubt sie uns ja jeden Tag", klagt Theodorakis, ohne konkret jemanden anzuklagen.
Das letzte Wort in Europa müssen die Bürger haben, nicht die Banker
Da verhält sich Jürgen Habermas anders. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG nennt er Ross und Reiter, seziert Defizite der Europäischen Union und fordert Korrekturen. Eine Währungsgemeinschaft ohne politische Union nennt er "eine Fehlkonstruktion".
"Die Währungsgemeinschaft bleibt instabil", urteilt er glasklar, "solange sie nicht um eine Banken-, Fiskal- und Wirtschaftsunion ergänzt wird. Das bedeutet aber, wenn wir die Demokratie nicht unverhohlen zur Dekoration erklären wollen, den Ausbau der Währungsgemeinschaft zu einer politischen Union."
Der Mangel wird offenkundig durch ein "ungewollt komisches einträchtig nationalistisches Denken, das der europäischen Öffentlichkeit unübertrefflich vor Augen führt, was wirklich fehlt – ein Focus für eine gemeinsame politische Willensbildung der Bürger über folgenreiche politische Weichenstellungen in Kerneuropa. Die griechische Wahl hat Sand ins Brüsseler Getriebe gestreut."
Das ist noch so ein Satz, der haften bleibt von diesen Habermas'schen Überlegungen in der SZ, die mit der Forderung schließen:
"Es sind die Bürger, nicht die Banker, die in europäischen Schicksalsfragen das letzte Wort behalten müssen."
Die Kriminalisierung der Armut in den USA
In der BERLINER ZEITUNG geht Susanne Lenz der Frage nach, wie es ist, ein Ghettobewohner zu sein. Sie hat die preisgekrönte Studie von Alice Goffman gelesen, die gerade auf Deutsch im Antje Kunstmann Verlag erschienen ist. Sechs Jahre lang hat die junge Soziologin in einem schwarzen Viertel in Philadelphia unter Cracksüchtigen, Arbeitslosen, Dealern gelebt, während sie gleichzeitig an den Eliteuniversitäten von Pennsylvania und Princeton studierte. "Was für ein Spagat", staunt Susanne Lenz.
Man erfährt, mehr als zwei Millionen Menschen sitzen in US-Gefängnissen, das ist ein Anstieg um 500 Prozent seit 1975. Goffman beschreibt die Missstände aus der Perspektive junger Schwarzer und beleuchtet damit ein Problem, das im Titel des Buches aufleuchtet: "On the Run – Die Kriminalisierung der Armen in Amerika".
"Ein toller Tag" für die Berliner Philharmoniker
"Im zweiten Anlauf, aber keine zweite Wahl", kommentiert die BERLINER ZEITUNG die Wahl Kirill Petrenkos zum neuen Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker. "Seine Wahl ist wirklich ein toller Tag – für Berlin, das Orchester, vor allem für die Musik", jubelt Jan Brachmann in der FAZ, und die Tageszeitung DIE WELT lässt den Meister selbst zu Wort kommen:
"Ich umarme dieses Orchester."