Die russische Justiz und die Künstler
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Dem russischen Regisseur Serebrennikow wird vorgeworfen, Fördergelder veruntreut zu haben. Außenstehende Beobachter deuten dies als Vorwand für einen politisch motivierten Prozess. Der "Tagesspiegel" beleuchtet die Rolle der Justiz.
"Was war schlecht in der vergangenen Woche?", fragt die TAZ wie immer zu Wochenbeginn Friedrich Küppersbusch. Und der antwortet dieses Mal: "Wenn das der Frühling ist, wie wird dann der Sommer?"
Putin und die Künstler - keine große Liebe
"Tauwetter?", fragt Frank Herold im TAGESSPIEGEL mit Blick auf die Lage in Russland. Nach der Aufhebung des Hausarrestes gegen den Regisseur Kirill Serebrennikow scheint es nun auch im Gerichtsprozess gegen ihn eine Wende zu geben. "Es gehört zu den ungeschriebenen Gesetzen der russischen Justiz, dass eine Anklage in mehr als 90 Prozent aller Fälle zugleich auch eine Verurteilung bedeutet", schreibt Herold. "Dahinter steht die Logik, dass es die Autorität staatlicher Organe untergräbt, wenn sich zwei ihrer Verkörperungen – die Staatsanwaltschaft und die Richter – öffentlich widersprechen."
Im Fall Serebrennikow, dem vorgeworfen wird, Fördergelder hinterzogen zu haben, was viele außenstehende Beobachter als Vorwand für einen politisch motivierten Prozess deuten, hole der Richter nun aber überraschender Weise eine zweite Meinung ein und habe Gutachten bestellt. Für einige Intellektuelle und Künstler Russlands ist das ein Beleg für das neue "Tauwetter" und einen freundlicheren Kurs Putins gegenüber den Künsten.
Frank Herold zerstört aber die Hoffnung im Keim. "70 Prozent aller Russen sehen die historische Rolle des Diktators Stalin positiv, einschließlich der Repressionen jener Zeit", gibt er das Ergebnis einer aktuellen Umfrage wieder und zitiert den Publizisten Andrej Kolesnikow so: "Das ist kein Tauwetter. Das ist, wie immer bei uns, Schneematsch."
Aischylos im zerstörten Irak
Vom russischen Schneematsch in den irakischen Trümmerstaub: Milo Rau hat mit eigenen Schauspielern und irakischen Künstlern in der ehemaligen IS-Hochburg Mossul eine sehr freie Version der "Orestie" von Aischylos geprobt und gefilmt. "Milo Rau und seine Mitstreiter sind so etwas wie die Blauhelmtruppe des europäischen Theaters", erklärt Christine Dössel in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Und zum Theaterabend "Orest in Mossul": "Auf Video ist eine (gespielte) Strangulierungsszene zu sehen: Agamemnon, der belgische Schauspieler Johan Leysen, erwürgt quälend langsam eine verschleierte junge Frau, die irakische Darstellerin der Iphigenie. Sie quiekt, röchelt, presst den letzten Atem heraus, während die Männer in langen Gewändern ungerührt zuschauen."
Videoszenen wie diese lasse Rau dann auf der Theaterbühne nachspielen. "Theatralisch wird an diesem Abend nicht viel geboten", urteilt Dössel. "Als Zuschauer bleibt man im interessierten, eher politisch-rational als emotional stimulierten Dokumentarfilmbetrachtungsmodus." Grete Götze findet in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG schärfere Worte: Der Regisseur verwechsle "wieder einmal politischen Horrortourismus und zeitgemäßes Theater."
60.000 Euro in der Altpapiertonne
Was denn in dieser Woche besser werde, fragt die TAZ Friedrich Küppersbusch und der bleibt beim Wetter: "Ich kann wieder über Regen schimpfen." Über Regen hätte sich der Maler Gerhard Richter sicher gefreut, wenn der in seine Altpapiertonne gelangt wäre und seine weggeworfenen Entwürfe in wertlosen Matsch verwandelt hätte. Aber die Tonne war wohl gut verschlossen oder trocken untergestellt. Ein Mann hat laut Anklage nämlich vier Entwürfe aus der Tonne entwendet und versucht, sie bei einem Auktionshaus unterzubringen. Schätzwert: 60.000 Euro.
An diesem Mittwoch wird die Sache vor dem Kölner Amtsgericht verhandelt, meldet der TAGESSPIEGEL: "Das Gericht muss nach Angaben einer Sprecherin nun klären, ob es sich bei der Tat tatsächlich um Diebstahl handelte. Also: Befanden sich die Skizzen noch in Richters Eigentum, obwohl er sie draußen in den Müll geworfen hatte?"