"Die schöne Zerbrechlichkeit ihres Gesichtes"
Die Nachrufe auf Christine Kaufmann fallen geradezu schwärmerisch aus: Eine großartige Schauspielerin, eine Hollywoodheldin, eine Sexbombe. Ihr Image habe aber irgendwann ihre Kunst übermalt, heißt es dann noch diskret in der "Welt".
Sex, überall Sex in den Feuilletons vom Mittwoch. Selbst dort, wo man es nicht erwartet. "Ist eine Zukunft denkbar, in der Maschinen Sex bei Menschen suchen, wie manche Menschen heute Sex von Maschinen wollen?", fragt Dietmar Dath in seiner Kritik des Kinofilms "Ghost in the Shell" in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und sät damit im Hirn des unschuldigen Lesers den Samen, aus dem verstörende wie hartnäckige Vorstellungen erwachsen.
Also lieber schnell weiterblättern im Feuilletonlaub. "Die Wellenreiterin" hat David Steinitz seinen Nachruf auf Christine Kaufmann in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG genannt, in Anspielung auf einen Satz, den sie kurz vor ihrem Tod sagte: "Man kann die Wellen nicht machen, man kann nur lernen sie zu reiten." Unter der Überschrift heißt es, sie sei nicht nur ein "deutscher Kinostar" und eine "Hollywoodheldin" gewesen, sondern auch eine "Sexbombe". Sie habe "Bücher über Glück, Sex und Körperzufriedenheit" geschrieben.
"Sie konnte Filme retten"
Elmar Krekeler gelingt es dagegen in seinem Artikel für die WELT, kein einziges Mal das Wort "Sex" zu gebrauchen: "Christine Kaufmann, die jetzt im Alter von 72 Jahren in München gestorben ist, war eine großartige Schauspielerin. Sie konnte Filme retten, wie wenige Filme retten können", schreibt Krekeler und erläutert das so: "Sie trug sie, rettete sie mit ihren Augen, der schönen Zerbrechlichkeit ihres Gesichtes, der Bewusstheit, mit der sie Bewegungen in Charakterzeichnung umsetzen konnte, mit ihrem Mut manchmal auch, gegen sich selbst zu spielen, gegen das, was man Image nennt, und das irgendwann – nicht ohne ihr Zutun – ihr eigentliches Können, ihre Kunst übermalte."
Kafkas Brief vom Gardasee
Der Beruf des Archivars klingt wunderbar asexuell. Und was Jan Bürger, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Literaturarchivs Marbach, in der FAZ schreibt, scheint das erst einmal zu bestätigen. Es geht um einen Besuch bei einer "älteren Dame", die dem Archivar ihre Autographensammlung anbietet: "Der Archivar schiebt die Kaffeetasse beiseite (mit Flüssigkeiten ist er vorsichtig) und fängt an zu blättern", schreibt Bürger offenbar über sich selbst in der dritten Person. "Plötzlich hält er inne. Kopfschüttelnd beginnt er zu lesen." Einen für immer verschollen geglaubten Brief von Franz Kafka an seinen Freund Felix Weltsch: "Nein Felix es wird nicht gut werden, nichts wird gut werden bei mir", schreibt Kafka 1913 aus einem Sanatorium in Riva am Gardasee. Gerade hat er sich von Felice Bauer getrennt. Mitleid kommt beim Leser des Feuilletonartikels auf. Bis Jan Bürger weiter aus dem Brief zitiert und erläutert, dass Kafka da bereits einen Kurschatten hatte und zugleich bedauert, damit nicht die Zeit für einen anderen möglichen Kurschatten, eine kartenlegende Russin, gehabt zu haben. Die hätte ihn, vermutet Kafka in seinen Tagebüchern, "nachts in ihr Zimmer eingelassen", "das schief gegenüber" seinem eigenen gelegen habe. Kafka ein sexbesessener Womanizer also.
Mexikos Mauer mit vielen Türen
Zum Schluss aber wirklich noch etwas ganz ohne Sex, zum Lächeln statt zum Erröten: "Lasst uns die Mauer bauen. Und einverstanden, wir werden dafür bezahlen, wir Mexikaner", schreibt der Schriftsteller Juan Pablo Villalobos im TAGESSPIEGEL und man denkt, jetzt hat er den Verstand verloren. Doch dann folgt ein Aber:
"Aber wir werden sie selbst bauen, und wir werden alle zwanzig Kilometer eine Hilfsstation einreichten. Eine Notunterkunft mit Ärzten, Essen, Wasser, Betten, in denen die Menschen sich ausruhen und Kraft schöpfen können. Und Englischkurse. Und das Wichtigste: Wir werden auf der gesamten Länge der Mauer viele Türen einbauen, tausende Türen, die man nur von einer Seite aus öffnen kann: von unserer."