Aus den Feuilletons

Die Überraschungspreisträgerin

04:20 Minuten
Louise Glücks Bücher liegen nebeneinander auf einem Tisch.
Bevor sie den diesjährigen Literaturnobelpreis bekam, kannte kaum jemand den Namen der Lyrikerin Louise Glück. © imago images / TT / Henrik Montgomery / Nobel 2020 Literature
Von Tobias Wenzel |
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Die Poetin Louise Glück hat den Literaturnobelpreis bekommen. "Kitschalarm", befindet die "SZ". Niemand kenne sie, schreibt die "Welt". Die "FAZ" dagegen hat mit der deutschen Übersetzerin gesprochen, die erklärt, warum Glück eine wichtige Lyrikerin sei.
"Niemand in Amerika scheint Louise Glück zu kennen", schreibt Hannes Stein in der WELT über die US-amerikanische Dichterin und diesjährige Literaturnobelpreisträgerin. Er belegt das anhand von Twitter-Accounts. Selbst die "Poetry Foundation", eine mächtige Stiftung aus Chicago zur Verbreitung von Lyrik, habe auf Twitter Louise Glück mit keinem Wort erwähnt. Und die US-amerikanische Schriftstellerin und ewige Literaturnobelpreiskandidatin Joyce Carol Oates habe lieber "ein Bild aus ihrem herbstlichen Garten" getwittert als Glück zu gratulieren.
Im Gespräch mit der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG begründet ihre deutsche Übersetzerin Ulrike Draesner, warum sie Louise Glück als "wichtige" und "ganz eigene Lyrikerin" einschätzt: "Das zeigt sich etwa an ihrem Band 'Wilde Iris', in dem sie Blumen beschreibt auf eine Weise, in der man diese Wesen zuvor nie gesehen hat, und es schafft, dass das nie kitschig wird."

"Höchster Kitschalarm"

Wenn man in "Wilde Iris" blättere, herrsche überall "höchster Kitschalarm", schreibt dagegen Tobias Lehmkuhl in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und zitiert folgende Verse:

"depressiv ja, aber doch leidenschaftlich
dem lebendigen Baum zugetan, mein Körper
sogar in den gespaltenen Stamm geschmiegt, beinah friedvoll, im Abendregen
beinah fähig zu fühlen,
wie Saft schäumt und steigt."

"Manch einem steigt da die Galle hoch", kommentiert Lehmkuhl und schreibt: "Die literarischen Werte, das muss man wieder einmal so sehen, wurden mit dieser Preisentscheidung mit Füßen getreten." Ein recht selbstbewusstes Urteil von jemandem, der, wie man herauszulesen meint, bis zur Preisentscheidung das Werk der Dichterin gar nicht kannte und nun mal schnell ein bisschen darin geblättert hat.

Die erfundene Biografie

Sympathischer wirkt da der SZ-Artikel direkt darunter. Der Titel: "Wer?" Willi Winkler und Alexander Gorkow machen keinen Hehl daraus, dass sie Louise Glück nicht kannten. Anstatt Wissen zu heucheln, haben sie einfach eine Biografie für die neue Literaturnobelpreisträgerin erfunden und machen sich damit gleichzeitig über den Feuilletonbetrieb lustig.
Mit 14 sei Glück von zu Hause abgehauen, mit der Sängerin Madonna habe sie zusammengewohnt. "Madonna verspottete ihre WG-Genossin später als 'verklemmte Ziege', 1982 widmete sie ihr 'Like A Virgin", schreiben Winkler und Gorkow. "Derridas Theorie der 'nichteinholbaren Gleichzeitigkeit', die bisher auf Heideggers Einfluss zurückgeführt wurde, entstand in Wahrheit bei Gesprächen zwischen Derrida und Glück in Nanterre."
Leider nicht erfunden ist, dass die 17 Jahre junge Studentin Anastasia Kasanowitsch von maskierten belarussischen Sicherheitskräften festgenommen wurde. Das Foto der Festnahme wurde berühmt und ist nun auch noch mal in der TAZ abgedruckt. Kasanowitsch ist vier Stunden festgehalten worden, nur, weil sie gegen den Diktator Lukaschenko demonstriert hatte. Sie solle von ihrem Universitätsstudium ausgeschlossen werden, erzählt sie im Interview. "Gib es Beistand Ihrer Hochschule?", fragt die TAZ nach. Anastasia Kasanowitschs Antwort: "Nein, mein Aktionismus bedroht offenbar den Status quo dieser Universität."

Keine Angst vor Zombies

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG druckt ein Szenenfoto der Amazon-Prime-Serie "The Walking Dead: World Beyond" ab. Auf dem Bild sitzen drei Zombies in Sesseln. Darunter steht: "Zuschauer nach 17 Folgen? Oder doch ganz normale Zombies?" "Totgelaufen" hat Nicolas Freund seinen Artikel über den neuen Ableger von "The Walking Dead" genannt. Zombies seien in der Filmgeschichte immer dann aufgetaucht, wenn in der Gesellschaft etwas gerade nicht in Ordnung gewesen sei. Nun also zum Beispiel die Corona-Pandemie und der Klimawandel. Freunds Urteil über die neue Serie ist aber ernüchternd: "Die Zombies machen weniger Angst vor gesellschaftlichen Problemen, als vor den nicht totzukriegenden Wiederholungen ihrer eigenen Serie."
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