Aus den Feuilletons

Die wahre Bedeutung von Public Viewing

Fußballfans feiern am 04.07.2014 in Hamburg beim Public Viewing auf dem Heiligengeistfeld das Viertelfinal-Spiel Deutschland-Frankreich.
Fußballfans feiern am 04.07.2014 in Hamburg beim Public Viewing auf dem Heiligengeistfeld das Viertelfinal-Spiel Deutschland-Frankreich. © dpa / picture alliance / Axel Heimken
Von Tobias Wenzel |
Dressman, Showmaster, Streetworker: Die "Welt" berichtet über englisch klingende Wörter, die im Englischen aber gar keine oder eine andere Bedeutung haben. Und stellt die Frage, ob nicht diejenigen, die die Nase über diese Pseudo-Anglizismen rümpfen, Sklaven des englischen Sprachimperialismus sind.
"James Bond wüsste gar nicht, was ein Smoking sein soll", hat Matthias Heine seinen Artikel für die WELT genannt. Heine berichtet über jene englisch wirkenden Wörter, die außerhalb des englischen Sprachraums gebraucht, aber von den englischen Muttersprachlern gar nicht oder anders verstanden werden. Heine gibt Beispiele für solche Pseudo-Anglizismen im Deutschen: "der 'Dressman' und der 'Showmaster' etwa, die im Englischen unbekannt sind, die Wörter 'Streetworker' und 'Public Viewing', die für Muttersprachler 'Prostituierte' und 'Aufbahrung' bedeuten [...]". Für manche Wissenschaftler sei ein Pseudo-Anglizismus eine "Neuinterpretation und kreative Veränderung der englischen Sprache". Diese Einschätzung ist dem Journalisten offensichtlich sympathisch. Denn an die "Sprachapokalyptiker" gerichtet, schreibt er:
"In der Tat ist es ja so, dass gerade Menschen, die sich einbilden, besonders gut Englisch zu können, die Nase über Pseudoanglizismen rümpfen. Sie sollten mal einen Moment darüber nachdenken, ob sie nicht die wahren devoten Sklaven des englischen Sprachimperialismus sind. Wer 'Dressman' sagt, ist in gewisser Weise deutscher als einer, der auf das korrekte 'male model' beharrt."
Das größte Fiasko beim "Rolling Stone"
Eine US-amerikanische Reporterin war wohl so etwas wie die Sklavin ihrer Interviewpartnerin. "Es war der größte Coup in der Geschichte der Zeitschrift 'Rolling Stone', und es wurde das größte Fiasko", schreibt Patrick Bahners in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Im November 2014 berichtete Sabrina Rubin Erdely im "Rolling Stone" darüber, wie eine Studentin der University of Virginia, im Artikel Jacky genannt, 2012 in einem Verbindungshaus von sieben Männern vergewaltigt worden sei. Heute scheint klar zu sein: Jacky hatte sich die Geschichte ausgedacht.
Der Verlag der Zeitschrift beauftragte schließlich Mitarbeiter der Fakultät für Journalismus an der New Yorker Columbia University damit, die Ursachen dieses journalistischen Versagens zu untersuchen. Patrick Bahners berichtet nun in der FAZ über die Ergebnisse der Untersuchung, die am Montag in New York präsentiert wurden. So habe sich die Reporterin allein auf die Aussagen des vermeintlichen Vergewaltigungsopfers verlassen und nicht auch gegenrecherchiert. Die Journalistin sei voreingenommen gewesen und habe handwerklich unsauber gearbeitet. Auch die Redaktion trage eine Teilschuld. So die New Yorker Journalismus-Forscher. Der Verleger der Zeitschrift scheint sich aber keiner Schuld bewusst zu sein.
"Der Einsatz von 'Rolling Stone' für Jackie stand unter der haarsträubend unplausiblen Prämisse, das Ritual einer seriellen Vergewaltigung sei typisch für die Sitten der Eliteuniversitäten", schreibt Patrick Bahners. "Jetzt spricht der Verleger Jackie kaltschnäuzig den Opferstatus ab, um ihn für seine Leute zu reklamieren. [...] So erklärt man professionellen Bankrott."
Grünflächenamt gegen Edward Snowden
Bleiben wir in New York.
"Kein Park, kein Monument, kein Friedhof, auf denen man nicht Geschichten von Amerikanern begegnet, die für ihr Land den Feind besiegt, den Mond erreicht, das Meer überquert, die Wissenschaft gefördert, die Kultur bereichert haben."
Johannes Boie holt in der SZ genüsslich aus, um dann darüber zu berichten, dass Unbekannte in der Nacht zum Montag eine Bronzebüste von Edward Snowden auf eine dorische Säule im Fort Greene Park in Brooklyn gestellt haben. Denn natürlich ist Snowden nicht für alle Amerikaner ein Held. Und so blieb es dann auch ein Denkmal weniger Stunden. In den Worten von Johannes Boie:
"Lange bevor Grünspan der Installation die historische Würde verleihen konnte, die sich die Künstler zweifellos erhofft hatten, kamen allerdings ein paar Grünflächenbeauftragte der Stadt New York, verhüllten den Kopf des Antihelden mit einem Tuch, als könnte alleine sein Anblick Spaziergänger gefährden, und transportierten ihn schließlich ab."
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