Aus den Feuilletons

Die Weltlage und eine französische Mutter

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Lange waren die Feuilletons nicht mehr so politisch. © dpa / picture alliance / Sven Hoppe
Von Gregor Sander |
Kennen auch die Feuilletons nur noch die Themen Trump und Brexit? Der französische Philosoph Didier Eribon verweigerte sich diesen Themen im Gespräch mit der "SZ". Er wolle nicht die Weltlage erklären, sondern über sein neues Buch sprechen.
Lange waren die Feuilletons nicht mehr so politisch wie nach der Wahl von Donald Trump und dem vorrausgegangen Brexit. Vielleicht wollen die Kulturseiten aber auch manchmal zu viel? So wird der französische Soziologe Didier Eribon im Aufmacher der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG gefragt:
"Herr Eribon, Trump hat die Wahl gewonnen und . . ."
Doch schon an dieser Stelle antwortet Eribon fassungslos:
"Hören Sie, ich weiß nicht, was ihr alle wollt. Ich habe ein Buch über meine Mutter geschrieben und jetzt soll ich Brexit, Trump und die Welt erklären."
Doch Eribon fängt sich schnell und erklärt sich und den SZ-Lesern dieses plötzliche Interesse an seiner Sicht der Dinge so:
"Wahrscheinlich liegt es an den Kapiteln, in denen ich anhand meiner Mutter zeige, wie eine ganze Gesellschaftsschicht im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte das Gefühl bekommen hat, vergessen zu sein und wie sie darauf reagiert hat."

Die Präsidentschaft in Frankreich und die sozialen Abhängigkeiten

Mama Eribon, eine ehemalige Linke, wählt inzwischen eben den Front National und ihr Sohn erzählt davon in seinem auch in Deutschland erschienenen Buch "Rückkehr nach Reims". Auch seine Aussagen zur französischen Präsidentschaftswahl im kommenden Mai klingen eher düster:
"Ich tippe auf eine Stichwahl zwischen Marine le Pen und Francois Fillon. Fillons wirtschaftspolitisches Vorbild ist Margaret Thatcher –wer streikt, gehört eingesperrt. Aber er ist auch ein erzkonservativer Biedermann, der populär ist bei den katholischen Fundamentalisten. Insofern wird le Pen es schwerhaben gegen ihn, der moderne, gemäßigte Alain Juppé wäre für sie ein leichterer Gegner gewesen."
Auch Rap-Platten werden inzwischen über den Trump-Kamm geschert. So heißt es in der TAZ zur neuen Platte von A Tribe Called Quest:
"Auf ihrem neuen Werk "Thank you for your Service … We got it from here" rappen sie virtuos über Gentrifizierung als Folge von schlechter Wohnungsbaupolitik und thematisieren die Marginalisierung von AfroamerikanerInnen – so kurz nach der Wahl Donald Trumps ist das ein klares Statement,
meint Yannick Ramsel. Nur darf vermutet werden, dass vermutlich auch A Tribe Called Quest vor ein paar Monaten nicht mit einem Trump-Sieg gerechnet haben.
In der aktuellen Diskussion um die Berliner Volksbühne geht es für Dirk Pilz von der BERLINER ZEITUNG vor allem ums Geld:
"Unter der Hand haben die aktuellen Debatten mit Verteilungskämpfen zu tun: Warum geht so viel Geld an die stehenden Stadttheater und so wenig an Freie Gruppen? Sollte die Performancetradition nicht gleichermaßen gefördert werden?"
Dabei wehrt sich der Autor vehement gegen eine Unterteilung in böses altes und gutes neues Theater.

Mamma Mia und ein Stadtaffe

"Es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass es in den Künsten einen Fortschritt gebe wie in der Technik. Diesem zufolge sind Pop und Performance modern, Schiller und das Figuren-Schauspiel irgendwie altmodisch."
Das stimme auf keinen Fall, schreibt Pilz und stellt folgenden Merksatz auf:
"Gruppen wie Rimini Protokoll oder She She Pop sind nicht moderner als Peter Stein– sie entwerfen andere Gesellschaftsbilder. Die Geschichte der Kunst ist eine Geschichte der Ausdifferenzierung, nicht der Höherentwicklung."
Ganz leicht und ohne politische Ambitionen haben Autor John von Düffel und Regisseur Fabian Gerhardt das Erfolgsalbum "Stadtaffe" von Peter Fox als Musical auf die Bühne der Neuköllner Oper in Berlin gebracht:
"Anfängliche Vermutungen, das hinzuerfundene Stück könnte dem Album nur als verschämtes Alibi-Mäntelchen übergeworfen sein, sind unbegründet. Die Story steht für sich. Und die Anschlüsse zu den Songtexten funktionieren gut, wie im Abba-Musical 'Mamma Mia!'", lobt Udo Badelt im Berliner TAGESSPIEGEL. Es geht natürlich um eine rauschende Nacht in der Hauptstadt oder wie Uli Hannemann in der TAZ schreibt. Das Musical
"zelebriert das Hohelied fahrlässig herbeigeführter Teil- und Totalschäden im Berliner Nachtleben."
Und das alles mit guter Musik und ohne Donald Trump. Versprochen!
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