Aus den Feuilletons

"Die wirkliche Barbarei sind die Selfies"

Eine Frau macht mit dem Smartphone ein Selfie vor Raphaels "Porträt einer jungen Frau" von 1507, zu sehen im September 2016 im Puschkin-Museum in Moskau.
Eine Frau macht mit dem Smartphone ein Selfie vor Raphaels "Porträt einer jungen Frau" von 1507, zu sehen im September 2016 im Puschkin-Museum in Moskau. © picture alliance / dpa
Von Klaus Pokatzky |
Smartphones sollten in Museen nicht genutzt werden, findet der Architekt Renzo Piano. In der "Welt" bezeichnet er das Selfie-Machen im Museum als Barbarei und vermutet einen Angriff auf "die wahre Schönheit".
"Seit einem Jahr wird die Elbphilharmonie in Hamburg bespielt",
verkündet die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG. "Sie ist ständig ausverkauft." Das sieht nach einem guten Jahr 2017 aus.
"Die Architektur verändert nicht die Welt",
sagt da der Architekt Renzo Piano: "Sie dient höchstens als Interpret eines sich vollziehenden Wandels."
Und Renzo Piano ist da einer der erfolgreichsten Interpreten, dreiunddreißig Museen auf der ganzen Welt hat er kreiert.
"Ein Museum kann ein Gewissen anregen, es kann die Neugier wecken, die den Beginn eines bewussten Lebens bedeutet",
sagt er im Interview mit der Tageszeitung DIE WELT – und ärgert sich über die Leute, die nur ins Museum laufen, damit sie sich da vor einem da Vinci mit ihrem Handy ablichten können.
"Die Museen müssen einen Vorposten gegen die Barbarei darstellen, und die wirkliche Barbarei von heute sind die Selfies, die nur sagen wollen 'Ich war dort'. Wer die Museen dazu benutzt, der wird sich auch nicht für die Arbeit der Künstler interessieren, für die Kreativität. Und damit verliert er die Tiefe, die Lebensdauer und somit auch die wahre Schönheit."
Die wahre Schönheit ist aber nicht nur im Museum zu finden; manchmal liegt sie auch ganz nah.
"Er entdeckt Kultur, er gräbt sie buchstäblich aus, und er verwahrt und produziert sie."
Das lesen wir in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG über Toni Drexler, den Kreisheimatpfleger des Landkreises Fürstenfeldbruck bei München.
"Mal schaufelt er auf den Äckern des Haspelmoores, mal schürft er in Archiven", schreibt Rudolf Neumaier.
"Bei einer seiner Feldbegehungen hat er Reste von Artefakten der Mittleren Steinzeit entdeckt, was die Archäologie als echte Sensation feierte: Drexler fand die ältesten Spuren von Menschen zwischen dem Alpenrand und dem Donautal. Und aus Archiven schürfte er Geschichten von wildernden Priestern, Räuberbanden und Opfern religiöser Verfolgung."
In die Realität unserer Tage entführen uns gleich mehrere Feuilletons – in "das Thema des Jahres", wie die FRANKFURTER ALLGEMEINE befindet:
"Nach 2017 ist sexualisierte Macht- und Gewaltausübung kein Schattengewächs mehr."
Der Filmproduzent Harvey Weinstein und andere Grabscher lassen grüßen – nicht nur aus Hollywood.
"Es handelt sich nicht um einen Webfehler in der Ordnung der Unterhaltungsindustrie", meint Verena Lueken in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN.
"Es handelt sich um ein Strukturproblem in der Organisation des gesamten öffentlichen und auch des Wirtschaftslebens der Vereinigten Staaten und darüber hinaus. In Schweden zum Beispiel haben sich weit mehr als tausend Frauen über sexuelle Übergriffe in der Musikindustrie beklagt."
Der Berliner TAGESSPIEGEL ruft uns noch mal einige Namen in Erinnerung.
"James Levine dirigiert nicht mehr an der Met. New-York-City-Ballettchef Peter Martins legte sein Amt nieder. Sam Haskell, Chef des Schönheitswettbewerbs Miss America, wurde suspendiert", zählt Christiane Peitz auf.
"Viele Täter sind alte Männer, ihre Verbrechen liegen teils Jahrzehnte zurück."
Und das gehört eben wohl zum Perversesten am ganzen Thema:
"Das Schweigen über die Straftaten währte bis jetzt. Das ist der Kern des aktuellen Skandals: Dass die Täter bis in die Gegenwart unbehelligt blieben, dass sie Komplizen haben."
Der Regisseur Ridley Scott hat aus seinem Film "Alles Geld der Welt" den Schauspieler Kevin Spacey hinausgeworfen – gegen den ebenfalls Sexismus-Vorwürfe erhoben worden waren.
"Es wird nun Veränderungen geben, die schon lange hätten passieren müssen", sagt Ridley Scott im Interview mit der SÜDDEUTSCHEN.
"Es wird allerdings auch so sein, dass nicht alle daraus lernen werden. Es wird für eine Weile aufhören – und dann wird es einfach so weitergehen wie vorher."
Das sieht nach einem schlechten Jahr 2018 aus.
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