Ein bedachtsamer Homme de Lettres

Rüdiger Safranski wird am 1. Januar 70 Jahre alt - das Feuilleton gratuliert dem Schriftsteller und Philosophen schon heute. Die "FAZ" hat den Hamburger Kongress des Chaos Computer Clubs verfolgt und berichtet, was passieren kann, wenn man blind auf Technik vertraut.
"Blau blüht der Schlendrian!", schreibt jemand mit dem Kürzel "oju" in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Neun Autoren berichten über Fernsehsendungen, die sie als Schlafmittel benutzen. Und besagter Autor mit dem Kürzel "oju" bedankt sich dafür bei, wie er schreibt, "Wolfgang Sandmann Herles", dem Moderator der ZDF-Sendung "Das blaue Sofa".
Das sei ein "Reisemagazin", das nur vorgebe, "etwas mit Büchern zu tun" zu haben. Besonders schläfrig machen den Autor des Artikels die Fragen, die der Moderator den Schriftstellern stellt. Zum Beispiel: "Wann haben Sie festgestellt und auch realisiert, dass Sie ein begnadeter Erzähler sind?" Das Fazit des FAZ-Autors: "Aus der Weltliteratur ein einziges Schlaflied gemacht zu haben, das ist eine Leistung."
Andere dösen weg, wenn sie in sozialen Netzwerken private Fotos von Regalen betrachten. "Shelfies" heißen sie. Das Shelfie hat 2014 in der Beliebtheit das Selfie, also das Selbstporträt, im Netz abgelöst. Das ist eine von 19 mehr oder weniger umgesetzten Ideen aus dem scheidenden Jahr, die die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG würdigt.
Darunter auch die Idee des "searchless search", der "suchlosen Suche". Man muss nicht selbst suchen, denn der Computer, zum Beispiel eine Suchmaschine, erahnt schon, was der Mensch angeblich suchen möchte. Die SZ gibt ein weiteres Beispiel für dieses Konzept: "Amazon plant, Waren zu liefern, die niemand bestellt hat, von denen der Konzern aber errechnet hat, dass sie Anklang finden werden."
Was passieren kann, wenn man auf Computer und Technik einfach blind vertraut, schildert Stefan Schulz. Er hat den Hamburger Kongress des Chaos Computer Clubs für die FAZ verfolgt, auch den Vortrag von David Kriesel. Kriesel habe ein Hilferuf erreicht:
"Jemandem war aufgefallen, dass der Grundriss eines Gebäudes plötzlich andere Quadratmeterwerte aufwies, nachdem das Dokument gescannt worden war."
Die Scanner der Firma Xeros hätten manchmal zum Beispiel die Ziffer sechs als acht interpretiert und umgekehrt. Von dem Fehler betroffen sei die ganze Welt. Ein ehemaliger Offizier, der im Publikum saß, habe gesagt:
"Die Bundeswehr nutzt eigentlich nur Geräte von Xerox."
Der Vortragende erhalte nun täglich Hunderte von Anfragen:
"Archive kontaktierten Kriesel, die ihre Bestände digitalisierten und die Originale vernichteten."
Als hätte er das gelesen, schreibt Alan Posener in der WELT:
"[D]ie Digitalisierung ist eine Revolution, die ihre eigenen Kinder frisst."
Posener bezieht sich auf eine Studie der Vodafone-Stiftung, der zufolge nur dreizehn Prozent der jungen Deutschen "gern auf dem Gebiet der Informationstechnologie arbeiten" würden.
"Die jungen Deutschen haben Recht", applaudiert der Autor. Denn die Zahl der gefährdeten Berufe wachse "mit den Fortschritten in der künstlichen Intelligenz".
Experten schätzten, knapp die Hälfte aller derzeitigen Arbeitsplätze in den USA seien zum Beispiel durch die Computerisierung gefährdet. Das schließe auch Arbeitsplätze für Computer- und Software-Ingenieure ein.
Poseners gewagte Zukunftsprognose:
"Übersetzer und Lastwagenfahrer dürfte es in zehn bis zwanzig Jahren vermutlich nicht mehr geben. Piloten, deren Job einfacher ist als etwa jener des Busfahrers, sind genauso überflüssig wie Lokführer."
Verschont blieben laut Posener vor allem Berufe, für die man Kreativität und soziale Intelligenz brauche.
Dann ist wohl Rüdiger Safranskis Beruf erst einmal gesichert. Für Uwe Justus Wenzel von der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG ist Safranki, der an Neujahr siebzig wird, ein "bedachtsamer, Bonmots nicht scheuender, doch stets Mitte und Mass suchender Homme de Lettres, der über Dichterfürsten ebenso zu reden versteht wie über Philosophenkönige".
Arno Widmann nennt Rüdiger Safranski den "Biografen der Deutschen". In seinem Artikel für die BERLINER ZEITUNG hält Widmann plötzlich inne:
"Ich habe ein wenig den Safranski-Ton angeschlagen", schreibt er.
"Aber ich habe nicht seine warme von altem Grappa, von Tabak, von der Liebe zur Metaphysik und der Liebe an ihrer Kritik angenehm angeraute Stimme."