Aus den Feuilletons

Ein Kreuzzug kommt aus Bayern

Ein Steinkreuz mit einer Christusfigur steht am 30.10.2016 in Düsseldorf auf dem Nordfriedhof. Foto: Horst Ossinger/dpa
Kreuz mit Christusfigur © dpa / Horst Ossinger
Von Tobias Wenzel |
Rudi Dutschke, Söder und Jesus – breiter könnte das Spektrum der Feuilleton-Themen der Woche kaum sein. Dabei wurde über den den einen geschimpft, der zweite dann hatte eine gute Idee und der dritte dann wurde von dem Zweiten für seine Idee genutzt.
Vorab eine Warnung: Dieser Blick in die Feuilletonwoche, die zum Nachdenken anregte, könnte Ihnen Schaden zufügen. Denn, so formulierte es der Soziologe Armin Nassehi im Gespräch mit Hannah Lühmann von der WELT: "Es ist ein soziologisches Grundgesetz, dass mehr Reflexion mehr Unzufriedenheit hervorbringt."
Das war eigentlich schon überraschend und niederschmetternd genug für den der Aufklärung zugeneigten Leser. Aber dann setzte Nassehi, der ein Buch zu 50 Jahre 68er-Bewegung geschrieben hat, noch eins drauf: "Wenn man Rudi Dutschke über die parlamentarische Demokratie reden hört, dann sind das Sätze, die man heute von den Neurechten in fast gleicher Formulierung findet. Die Parlamentarier hätten sich vom unmittelbaren Lebensgefühl des Volkes oder der Wähler entfernt. Die Politik sei nicht in der Lage zu sehen, welches die wirklichen Bedürfnisse der Menschen sind."

Am besten rechts und links und oben und unten: das Kreuz

Entweder nimmt man das hin und sagt mit dem Dichter Ernst Jandl:
"manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein illtum".

Oder aber man wehrt sich und trägt selbst dazu bei, dass rechts wieder klar von links getrennt ist, wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der, wie es scheint, durch weniger Reflexion sich selbst und andere zufriedener machen möchte. Per Dekret verpflichtete er bayerische Amtsstuben, dort das Kruzifix aufzuhängen. Das tat Söder dann gleich mal selbst am Eingang seiner Staatskanzlei, ließ sich dabei fotografieren und präsentierte eine Aufnahme davon auf seinem offiziellen Twitter-Account.
Das sieht für Claudius Seidl von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG allerdings eher so aus, als hielte Söder das Kreuz, um sich zu schützen. Ob vor Linken oder Flüchtlingen oder gar linken Flüchtlingen, wagt Seidl nicht zu vermuten. Allerdings erinnert ihn die Söder-Pose mit dem Kreuz doch sehr an den Vampirjäger Abraham van Helsing. Der bändigt bekanntlich die Blutsauger in Bram Stokers Roman "Dracula". Die WELT reagierte auf Söders "Kreuzzug" durch die bayerischen Ämter mit folgender Frage: "Lieber Jesus, wo kommst Du da bloß hin?" Denn, so die sechs Autoren des skurrilen Artikels, für das Kreuz sei auf den Ämtern überhaupt kein Platz mehr bei all dem "Büroplunder" dort an der Wand, vom "lustigen Spruch" bis zu den großformatigen Fotos vom "Tauchurlaub", die Verwaltungsangestellte selbst geknipst haben.

Denkwürdiger Jubel über einen Ex-Preis

Weniger Platzprobleme haben die "Echo"-Gewinner, die ihre Trophäe zurückgegeben haben, aus Protest gegen die Preisträger Farid Bang und Kollegah und deren antisemitische Liedtexte. Und dann kam die Entscheidung, dass es den Preis in dieser Form nicht mehr geben wird. "Endlich einmal eine gute Echo-Nachricht: Der Preis wird abgeschafft", kommentierte Nadine Lange im TAGESSPIEGEL.
"Kunst dient nicht der Erbauung in der Gartenlaube. Sie ist nicht nur dem Guten und Wahren und Schönen verpflichtet", schrieb der Jura-Professor Volker Boehme-Neßler in der WELT, stellte aber klar, dass die den Holocaust verhöhnenden Lied-Zeilen der Rapper eben nicht von der Kunstfreiheit gedeckt seien. Sie verletzten die Menschenwürde, das höchste Gut des Grundgesetzes. Das Fazit des Juristen: "Die Unantastbarkeit der Menschenwürde ist das letzte Tabu, das wir haben. Wenn dieses Tabu fällt, sind wir auf dem Weg zur Barbarei."

Deniz Yücel ist frei und was ist mit den anderen Inhaftierten?

Die Türkei dürfte schon längst auf diesem Weg sein. Jedenfalls höhlt sie weiter den Rechtsstaat aus und tritt die Pressefreiheit mit Füßen. Aber sieht da überhaupt noch jemand hin? Die TAZ zitierte Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen so: "Nach der Freilassung von Deniz Yücel hat das Interesse an den in der Türkei inhaftierten Journalisten deutlich nachgelassen. Auch wenn viele damals gesagt haben: 'Wir dürfen jetzt die anderen Inhaftierten nicht aus den Augen verlieren', passiert nun genau das." Und darunter leiden nun die deutsche Journalistin Meşale Tolu und ihre Kollegen der türkischen Zeitung "Cumhuriyet", die wiederum zu langen Haftstrafen verurteilt worden sind. Das und die vorgezogenen Wahlen in der Türkei deuten auf das Ende des Rechtsstaats hin.
Bülent Mumay berichtete in der FAZ über einen AKP-Abgeordneten, der den Kandidaten seiner Partei "in einem regierungsnahen Blatt" folgendes empfahl: "Verbergen Sie Ihre Luxusautos, falls sie welche haben, vor der Öffentlichkeit." Daraufhin fragte Mumay: "Wie diese Empfehlungen wohl bei Erdogan ankommen, der in einem Tausend-Zimmer-Palast residiert und über eine Flotte von elf Flugzeugen und drei Hubschraubern, vierzehn gepanzerten Fahrzeugen, zwei davon Limousinen, 28 Jeeps, sechs Krankenwagen, zwei Feuerwehrautos und dreißig Motorradfahrern verfügt?"

Die große Frage des Überlebens

Ganz sicher verfügt Erdogan auch über eine "Apokalypse-Versicherung in Form eines Bunkers", wie Adrian Lobe das in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG formulierte, in seinem Bericht über die Bewegung der sogenannten "Survivals". Die bereiten sich schon mal auf die Zeit nach dem Untergang vor, zum Beispiel mit "Jodtabletten, Buschmessern, Gasmasken, Funkgeräten, tragbaren Toiletten", die man in Apokalypse-Shops im Internet bequem nach Hause bestellen kann. In den Worten von Adrian Lobe: "Antonio García Martínez, ehemaliger Produktmanager bei Facebook, hat auf einer Insel im Nordpazifik zwei Hektar Land gekauft und verfrachtete dorthin Notstromaggregate, Solarzellen und Munition." Lobe erwähnte nicht, ob auch ein Kruzifix dabei war.
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