Aus den Feuilletons

Ein Whitman-Roman als Sensationsfund

Der US-amerikanische Schriftsteller Walt Whitman (1819 – 1892)
Der US-amerikanische Schriftsteller Walt Whitman (1819 – 1892) © imago / UPI Photo
Von Hans von Trotha |
Nach 165 Jahren ist ein unbekannter Roman von Walt Whitman aufgetaucht. Die "Welt" preist ihn als den Dichter der US-Demokratie schlechthin – und spricht in Zeiten eines Donald Trump von einer "Weltsensation zur rechten Zeit".
Schon erstaunlich, was Nationalisten alles auf die Palme bringen kann. Religion immer, die Idee vom Volk sowieso, auch wenn sie nur eingebildet ist, und, ja, sogar Palmen. Aber: "Kein Volk ist eine Insel". Unter dieser Überschrift warnt Axel Weidemann in der FAZ:
"Was in den Vereinigten Staaten mit Donald Trump und seinem Slogan 'Make America Great Again' scheinbar ruckartig Realität geworden ist, findet in Japan unter der Parole 'Take back Japan' ... schon seit Jahren statt. Wie sehr (Ministerpräsident) Abe in Japan vorwegnimmt, wovon Rechtspopulisten in Europa träumen, wird selten registriert. ... Die selbsternannte spirituelle Elite, die Zentrale Vereinigung der Shinto-Schreine ... macht ebenfalls mit. Lange schon wird die japanische 'Urreligion' (Weidemann setzt das in Anführungszeichen) für politische Zwecke eingespannt. ... Auf ihrer Internetseite erklärt die Vereinigung selbstbewusst jeden Japaner zum Gemeindemitglied, 'ganz gleich, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht'. In diesem Sinne schaffen Politiker ... , die dem politischen Flügel der Shinto Vereinigung ... angehören, das spirituelle Fundament für ein 'neues' Japan. Dieses nähert sich ohne die Lautstärke einer Marine Le Pen oder eines Donald Trump, aber es kommt."

Ungarn als Sehnsuchtsort der Populisten

Das neue Ungarn ist schon da. Während man sich in Japan als Hüter einer "Urreligion" geriert, sehen sie sich hier als "Erben des Urvolks". So ist ein SÜDDEUTSCHE-Interview mit der mit der Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky überschreiben. Tenor: "Ungarn ist zum Sehnsuchtsort für Populisten aus aller Welt geworden."
"Begriffe wie Menschenrechte oder Demokratie", sagt sie, "sind eindeutig negativ konnotiert, sie machen den Menschen Angst." Dafür werden "Wetterberichte in den Grenzen von 896" angezeigt und:
"Im 19. Jahrhundert kam der Glaube auf, der Stamm der Szekler in Transsylvanien sei das den Ariern nahestehende magyarische Urvolk. … Um an diesem Mythos festhalten zu können, sie stammten von einem auserwählten Urvolk ab, werden in der Propaganda auch dreihundert Jahre quasi vergessen. Die Hunnen sind im fünften Jahrhundert ausgestorben. Die Landnahme war aber erst 896."
Das ist das Ungarn, für sich das nationale Wetteramt zuständig fühlt.
Und noch ein alarmierendes Signal:
"Der Stadtrat von Budapest hat kürzlich beschlossen, die Statue des jüdischen und marxistischen Philosophen György Lukács zu zerstören."
Das kommentiert auch die WELT. Paul Jandl meint:
"Einen passenderen Ort hätte sich Ungarns nationalistische Symbolpolitik kaum aussuchen können. Der Szent-István-Park liegt am Ufer der Donau, wo die Pfeilkreuzler in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs Budapester Juden in Massenerschießungen ermordet und in den Fluss geworfen haben."

Unbekannter Whitman-Roman aufgetaucht

"Walt Whitman ist der Dichter der US-Demokratie schlechthin. Nach 165 Jahren taucht nun ein unbekannter Roman von ihm auf, der eine multikulturelle Gesellschaft preist. Eine" – drunter machen sie es eben nicht in der WELT"Weltsensation zur rechten Zeit".
"Ich bin groß, ich enthalte Vielheiten",
zitiert Wieland Freund Walt Whitman und schreibt:
"Das gilt auch für das New York des Romans, in dem sich schließlich Iren und Spanier, Katholiken, Juden und Quäker zusammentun, um den Entrechteten ... zu ihrem Recht zu verhelfen. ... 'Wahrhaftes Mitleid' fordert der Roman am Schluss – als hätte der Mann ... eine Flaschenpost ins Jahr 2017 geschickt."
Der US-Schriftsteller T.C. Boyle
Der US-Schriftsteller T.C. Boyle © imago/Horst Galuschka
Das wiederum charakterisiert der Romancier T.C. Boyle im NZZ-Interview so:
"Mir scheint, wir verlieren unser Mitgefühl mit den Bedürftigen. Es gibt 7,3 Milliarden Menschen, unsere Ressourcen gehen zur Neige, die Klimaerwärmung vernichtet alles, aber wir ziehen eine Mauer hoch und sagen: Geh sterben, du interessierst uns nicht!"

Propaganda gegen Palmen

"Er ist Amerika", hatte der Dichter und Mussolini-Anhänger Ezra Pound über Walt Whitman geschrieben. Nach Pound nennt sich eine italienische faschistische Organisation "Casa Pound". Und die macht in Mailand Front gegen eine von ihr diagnostizierte "Verhöhnung der italienischen Kultur", wie die SÜDDEUTSCHE berichtet. Am Domplatz wurde
"eine Doppelreihe von etwa fünf Meter hohen Palmen gepflanzt, nach einem Entwurf des Architekten Marco Bay ... Er griff dabei auf Darstellungen aus dem 19. Jahrhundert zurück".
Auch wenn´s also historisch ist, ist es doch
"Stoff für rassistische Propaganda: 'Palmen und Bananen auf der Piazza Duomo in Mailand', sagte ... der Vorsitzende der fremdenfeindlichen `Lega Nord´, 'alles, was noch fehlt, sind Affen und Kamele, und dann haben wir Afrika in Italien. Schließlich sind die Flüchtlinge schon da.'"
Leute – kein Volk ist eine Insel. Das Wetter ist in den Landesgrenzen von 896 auch nicht besser. Und eine Palme macht noch keinen Kontinent.
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