Eine Herkulesaufgabe für die neue Dirigentin
Die "FAZ" konstatiert, dass das "CDU-Orchester" in letzter Zeit zu Dissonanzen neigte. Knapp die Hälfte der Parteitags-Delegierten haben gegen die neue "Dirigentin" gestimmt. Die Frage sei, ob sie die Lager versöhnen könne, meint die "SZ".
Ein Taktstock zum Schlussakkord - Angela Merkel bekam zum Abschied als CDU-Vorsitzende den Dirigentenstab geschenkt, mit dem Kent Nagano das Konzert zum G20 Gipfel dirigiert hatte. Weil es damals in Hamburg zu heftigen Tumulten kam, mosert die WELT postwendend: "Ein peinliches Abschiedsgeschenk."
Aber wahrscheinlich würde nach einer Ära von 18 Jahren für jedes Geschenk mit einer auch nur minimalen Prise Witz und Hintersinn gelten: Wie man’s macht, macht man’s verkehrt. "Die neue Dirigentin der CDU brauchte ihn freilich dringender", meint die FAZ zum Taktstock, weil das zu übernehmende Orchester doch in letzter Zeit "zunehmend zu Dissonanzen" geneigt habe.
AKK hat die Hälfte des Orchesters gegen sich
Nun hat jeder Dirigent nach dem ersten Honeymoon einen beträchtlichen Teil des Orchesters gegen sich - so weit so normal. Wär’s anders, wär’s verwunderlich. Die Hälfte allerdings - das ist ziemlich viel. Knapp die Hälfte der Delegierten stimmte beim Parteitag für Friedrich Merz, für den sich - wieder die FAZ - "im Register der mosaischen Ontologie" CDU-Übervater Wolfgang Schäuble ausgesprochen hatte.
Die "neue Dirigentin", Annegret Kramp-Karrenbauer also, muss jetzt eine Herkulesaufgabe stemmen: ein großes, vielstimmiges Orchester leiten, Solisten einbinden und zugleich eine Vorstellung organisieren, die das Publikum begeistert - also die Wähler. "Die entscheidende Frage" sei, so Ferdos Forudastan in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG: "Kann Kramp-Karrenbauer die Lager versöhnen?" Darauf müssen wir naturgemäß später noch einmal zurück kommen.
"Einmalige Mischung aus Selbsthass und Arroganz"
Die Lager versöhnen? Frankreichs Präsident Macron kann das derzeit jedenfalls nicht. "La rage, die Wut" zieht in gelben Westen durch Frankreich, sagt die Schriftstellerin Annie Ernaux im Interview der ZEIT. Ein lang angestauter Unmut macht sich Luft, aber wohl auch ein bloßer Zorn ohne echtes Ziel. Pascal Bruckner, Romancier und Essayist, geht mit den Gelbwesten, aber auch mit seinen Landsleuten generell hart ins Gericht.
"Sie mögen Streiks, Manifestationen, Demonstrationen oder gewaltsame Proteste? Dann müssen Sie unbedingt nach Frankreich kommen!" empfiehlt er mit einer ordentlichen Portion Sarkasmus in der NZZ und beschreibt das "französische Grundübel" so:
"Es besteht aus einer einmaligen Kombination aus Selbsthass und Arroganz. Bei uns Franzosen kommt eine unerreichte Einbildung (sie nährt sich aus den Erinnerungen an das Grand Siecle, das 17. Jahrhundert und die Zeit der Revolution) mit einem eklatanten Mangel an Selbstvertrauen zusammen - wie er in vielen der Länder zu beobachten ist, die an Dynamik verlieren. Der französische Fall aber ist der schlimmstmögliche: Hier fehlt einerseits die Selbstsicherheit, ohne die sich nichts Großes bewerkstelligen lässt, und andererseits die Neugier gegenüber dem anderen, die Bereitschaft, Neues vom Ausland zu lernen."
Das ist eine schonungslose, womöglich auch überharte Analyse, der Annie Ernaux wohl vehement widersprechen würde. "Zum ersten Mal kommt eine nationale Revolution nicht aus Paris", sagt sie der ZEIT. Das sind starke Worte, und auf die Rückfrage der ZEIT–Kollegen, ob es denn überhaupt eine Revolution sei, legt Ernaux noch nach: "Es ist eine Revolution des Volkes, ganz anders als die von 1968, die nur eine intellektuelle Revolution war."
Verständnis für die "gilets jaunes"
Madame hat viel Verständnis für die Bewegung, von der zumindest ein Teil blindwütig Straßen verwüstet oder den Arc de Triomphe demoliert. "Es gibt eine privilegierte Klasse, die in den Großstädten lebt", sagt Annie Ernaux, "und es gibt die Mittelklasse in den kleinen Städten, die zwar arbeitet, aber keine Hoffnung mehr hat. Ich glaube, in Frankreich ist das Verlangen nach egalité, nach sozialer Gleichheit, noch viel lebendiger als in England oder in Deutschland. Es gehört zum Fundament der Französischen Republik. Jetzt hat man das Gefühl, dass dieses republikanische Versprechen ein Witz geworden ist."
Wumms. Und an all dem soll Macron Schuld sein, der Präsident, der vor gerade mal eineinhalb Jahren begrüßt wurde wie ein junger Gott? Es sind diese überschießenden Reaktionen nach beiden Seiten, die derzeit so unsicher machen im Einschätzen einer Bewegung, die man in Frankreich selbst wohl noch kaum einzuschätzen kann.
"Alles, was sie kaputt machen, wird aus Steuern zurückgezahlt"
Annabelle Hirsch jedenfalls hat für sich für die FAS in Paris umgehört, nicht bei Intellektuellen, sondern beim Bäcker oder am Blumenstand, nicht repräsentativ, aber aufschlussreich. Ihre Reportage aus einem "verunsicherten Paris" sammelt Stimmen, von kritisch über verzweifelt bis martialisch.
"Am Samstag herrscht hier Krieg, Madame", tönt eine Frau, "findet sie etwa auch, die soziale Gewalt legitimiere die Gewalt auf der Straße, so wie das der Schriftsteller Edouard Louis vor ein paar Tagen in einem pathostriefenden Text erklärte?" fragt sich die FAS. Der Blumenverkäufer eine Ecke weiter meint:
"Wir sind alle Gilets Jaunes. Es ist für uns alle schwer. Aber was die da machen, geht zu weit. Außerdem sind sie wahnsinnig dumm: Alles, was sie kaputt machen, wird aus unseren Steuern zurückgezahlt. Auch aus ihren." Die meisten wünschten sich "ein Ende der Gewalt und den Beginn eines Dialogs. So schnell wie möglich. Oder, wie die Gelben Westen sagen würden: Sofort!" So endet Annabelle Hirschs Reportage in der FAS. Und wir haben dem Thema viel Raum gegeben. Wie die Zeitungen der vergangenen Woche.
Gibt es denn nicht noch was Schönes, Heimeliges, Vorweihnachtliches? Aber klar, gleich mehrere Zeitungen berichten über das Weihnachtskonzert von Mariah Carey, ganz groß und mit Bild. Die SZ betitelt die "Hymnen auf den Wiederholungszwang" stilecht mit "Bimmel, bimmel", der TAGESSPIEGEL nennt die gleichen Töne "Dingelingeling".
Das lassen wir jetzt einfach mal unkommentiert. Und stibitzen noch einen kleinen Satz aus der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Den haben wir aufgespießt, weil er Radiomenschen glücklich macht, geht so: "Das Hören erlebt eine Renaissance".