Eine politische Katastrophe
"Inzwischen sitzen 151 Journalisten und Schriftsteller in Haft", schreibt der Schriftsteller Peter Schneider in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Er ist kürzlich mit Mitgliedern des internationalen PEN-Clubs in der Türkei gewesen, um auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen.
Der 1. Februar wird wohl als der Tag in die Geschichte eingehen, an dem die ersten deutschsprachigen Feuilletonartikel erschienen sind, die sich nicht bloß in rituellen Verdammungen von Trump und Brexit ergehen, sondern diese beiden Phänomene etwas differenziert betrachten. Zum Beispiel kann der deutsch-ägyptische Politologe Hamed Abdel-Samad in der WELT das momentane Einreiseverbot in die Vereinigten Staaten für Leute aus gewissen Ländern nachvollziehen. Sechs von diesen Ländern, schreibt er,
"sind praktisch gescheiterte Staaten, in denen Terroristen nicht nur Territorien besetzen und Trainingscamps unterhalten, sondern auch dem Westen mit Anschlägen drohen und immer wieder diese Drohung in die Tat umsetzen. Außerdem haben Regierungen in diesen Ländern die Kontrolle über die eigenen Behörden teilweise verloren, sodaß der IS z.B. in Rakka syrische Pässe ausstellt, nicht nur um Terroristen nach Europa zu schmuggeln, sondern auch weil diese Pässe für illegale Einwanderer sehr begehrt sind und somit als eine Einnahmequelle gut geeignet sind".
Neben dem akuten Sicherheitsargument erörtert Abdel-Samad aber ein tiefer liegendes Problem zwischen der muslimischen und der westlichen Welt, eine "Schieflage" – wie er es nennt –, die sich beispielsweise darin zeigt, dass die Muslime hierzulande und in den USA eine Welle der Anteilnahme erleben, während es allen ziemlich egal ist, dass 16 muslimische Staaten Israelis schon immer die Einreise verweigern. Diese Schieflage, so Abdel-Samad,
"wäre nicht da, wenn Muslime die Rechte, die sie für sich selbst beanspruchen, anderen nicht verweigern würden. Trump wäre mit seinem antimuslimischen Diskurs nicht erfolgreich, wenn Muslime gezeigt hätten, daß sie effektiv gegen die Ideologie der Gewalt vorgehen".
Der Brexit und die Rolle der britischen Kultur
Auch die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG schwimmt gegen den Strom, was man schon an einer Überschrift wie der folgenden erkennt:
"Schluss mit dem Lamento! Grossbritanniens Kulturschaffende haben den Brexit-Schock überwunden – nun ist Pragmatismus angesagt."
Wir erinnern uns – sofern das viele Tageszeitungslesen nicht jedes Erinnerungsvermögen zersetzt – noch an die Untergangsvisionen, mit denen der Kulturbetrieb dies- und jenseits des Ärmelkanals aufwartete, und an die heiße Wut der progressiven, aufgeklärten und kultivierten Brexit-Gegner über das dumme, abgehängte Volk, das eine Mehrheit bildete. Doch jetzt erklären viele Kulturschaffende, es gelte, die Verbindung zu diesem Volk zu suchen und zu halten, statt sie abreißen zu lassen.
"Die Leute sind es satt, von uns mit unserem schicken Häusern in Islington gesagt zu bekommen, was sie fühlen und was sie denken sollen",
erklärt der Künstler Grayson Perry, Turner-Preisträger des Jahres 2003. Das National Theatre unter seinem Intendanten Rufus Norris sammelt Aussagen von Bürgern zur Lage der Nation und formt ein Stück daraus.
"Die Theaterleute, die sich mit aller Macht gegen den Brexit gestemmt haben, wollen heute die Gegenseite verstehen und zeigen sich offen – auch wenn die Ansichten, die sie im Land hören, ihren Vorstellungen von Inklusion und Zusammenarbeit zuwiderlaufen",
berichtet die NZZ – und außerdem, dass der Brexit einen interessanten Nebeneffekt für den Londoner Kulturbetrieb hat: die Besucherzahlen steigen enorm. Wegen des günstigen Pfund-Kurses kommen mehr Touristen aus dem Ausland, und die Briten selbst
"verbringen immer häufiger ihre Ferien im eigenen Land und machen Abstecher in die Hauptstadt".
Solidarität mit türkischen Schriftstellern
Nicht ferienhalber, sondern um eine politische Katastrophe mit eigenen Augen zu sehen, machte sich unlängst eine Reisegruppe in die Türkei auf. Es war eine 23-köpfige Delegation des internationalen PEN-Clubs, der der Schriftsteller Peter Schneider angehörte. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG druckt seinen Bericht:
"Inzwischen sitzen 151 Journalisten und Schriftsteller in Haft. (…) (Sie) können ihre Familienangehörigen einmal pro Woche für zwanzig Minuten sehen, allerdings nur durch ein Sichtfenster; das Gespräch findet durch einen Telefonhörer statt. Ihre Anwälte haben für eine Stunde pro Woche Zugang zu ihnen, bekommen aber häufig keinerlei Einsicht in die Akten."
Am Donnerstag besucht die Bundeskanzlerin Erdogan. Mal sehen, ob sie ihn auch so anraunzt wie sie es mit Donald Trump getan hat.