Aus den Feuilletons

Einer der größten Komponisten des 20. Jahrhunderts?

Udo Jürgens bei einem Auftritt im Jahr 2011.
Udo Jürgens bei einem Auftritt im Jahr 2011. © AFP PHOTO / POOL / CHRISTOF STACHE
Von Arno Orzessek |
Lob für einen Schlagerstar: Udo Jürgens bekommt anlässlich seines 80. Geburtstags das Prädikat "gut", die Feuilletons sind voll des Lobes. Weniger davon gibt es allerdings für das Zschäpe-Theaterstück in München. Dieses sei "Munddruchfall", meint die "FAZ".
Zunächst zur schönsten Feuilleton-Seite der vergangenen Woche… An der sich die Leser der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG erfreuen konnten. Anlässlich der Besprechung einer Werkschau in der Fondation Beyeler druckte die NZZ halbseitig Gustave Courbets großartiges Gemälde "Le bord de mer à Palavas" ab. Maria Becker beschrieb es so:
„Unendlich dehnt sich die Fläche des blauschwarzen Meers, der Maler – nehmen wir doch an, dass er es ist – steht am Strand und grüsst mit dem Hut in die Weite. Der Hochmut, der Courbet eigen war, war eben auch hoher Mut, der ihn befähigt hat, den Stürmen und Wellen des Lebens mit leichtem Sinn entgegenzusehen.“
Wochenthema: Stürme des Lebens
Und damit sind wir beim Thema der vergangenen wie jeder anderen Woche: den berühmt-berüchtigten Stürmen des Lebens – und der Frage, ob man ihnen noch mit leichtem Sinn entgegensehen kann. Die Linke zum Beispiel, früher mit einer gewissen Frivolität für gesellschaftlichen Radau zuständig, kann es nicht mehr und ist darüber „konservativ geworden“. Das behauptete die Soziologin Cornelia Koppesch in der Wochenzeitung DIE ZEIT, die das Resümee des Gesprächs in die flotte Formel packte: „Der Spießer als Avantgardist“.
„Die bürgerlichen Milieus von heute [so Koppesch] leisten sich Biokisten, Terrakottafußböden, Holzspielzeug für die Kinder und Yogakurse zur Entspannung. Sie kultivieren Kirchenbesuche statt Ostermärschen und erklären die intakte Kleinfamilie zum höchsten Ideal der Lebensführung. Die Reste alternativer Lebensentwürfe, getragen von Werten wie Autonomie, Selbstverwirklichung und Authentizität, sind in die Sphäre des Konsums gewandert. […] Bürgerlichkeit […] ist eine zur Mentalität verdichtete lebensweltliche Bastelarbeit [geworden].“
Da die ZEIT auf ihrer nächsten Seite „Und packt die Babyflaschen ein!“ titelte, konnte man glauben: Noch ein Artikel über bürgerliche Lebenswelt-Bastelei. Tatsächlich jedoch fragten sich Annabel Wahba und Jana Simon: „Was treibt sie nur?“… Jene Frauen und Mädchen aus Deutschland, die „auf der Suche nach der letzten wahren Rebellion“ in den Dschihad ziehen, fremde Krieger heiraten und behaupten, nun sei der Islamische Staat ihre Familie.
„Für manche junge Frau [so Wahba und Simon], gerade für diejenigen, die aus traditionell-konservativen Einwandererfamilien stammen, bedeutet die Ausreise auch eine Emanzipation – von ihren Eltern und der patriachalischen Kultur, in der Jungs fast alles dürfen und Mädchen nichts. ‚Für diese Mädchen ist Salafismus fast wie eine Befreiung, so eigenartig das klingt‘, sagt die Islamismus-Expertin Claudia Dantschke. ‚Dort gelten Einschränkungen für beide Geschlechter, was die Mädchen als gerecht empfinden. Sie emanzipieren sich […] [so] von ihren Vätern‘“,
zitierten Wahba und Simon die Expertin Dantschke und erklärten, dass die jungen Dschihadistinnen sogar auf die Kalaschnikows ihrer Männer eifersüchtig sind.
„‘Dich nimmt er überall mit. Sogar wenn er den Märtyrertod erlangt, bis du neben ihm!‘ klagt eine Salafistin auf Facebook.“
Wortdurchfall in München
Beate Zschäpe war keine Salafistin, sondern lebte ihre extremistische Gesinnung im Nationalsozialistischen Untergrund aus – worüber sie vor Gericht indessen schweigt. Deshalb hat Elfriede Jellinek „Das schweigende Mädchen“ geschrieben… Ein Stück, dessen Aufführung in den Münchener Kammerspielen Gerhard Stadelmaier von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG den komischen Seufzer entlockte:
„So aber spricht der Herr: Es ist ein Schmarrn“ – und weiter, nun der Magen-Darm-Metaphorik zugewandt: „ein ungeheurer, pausenloser Wortdurchfall“…
Von dem sich Stadelmaier indessen infizieren ließ – und zum Durchfall auch noch das Kotzen bekam.
„Wir sind also mitten im Jelinekschen Kalauer-Evangelium nach Elfi und rutschen über Textflächen zum Erbrechen. Denn je mehr […] die Angeklagte Beate Z. schweigt, desto mehr erbricht die Dramatikerin für sie : Worte, Worte, nichts als Worte. Da noch Engel und Propheten im Spiel sind […] und auch ein ‚dreigefalteter Gott‘, bekommt die Sache einen Stich einerseits ins flott Blasphemische (‚Werke des Herrn im Himmel, nein, nicht des Herrn Himmler‘), anderseits ins absolut Schmarrnhafte und Hilflose. Der kalten Ungeheuerlichkeit der Morde […] kontert Jelinek mit einer: ungeheuerlichen Heiligung. Die Banalität des Bösen kriegt bei ihr die große Bibelsegnung, die wohl sehr kritisch und sarkastisch gemeint ist, aber voll in die Entlarvungshose geht“,
schnöselte Stadelmaier in einem FAZ-Artikel, der selbst passagenweise genau dorthin ging – in die Entlarvungshose. -
Zurück zu den alltäglichen Stürmen des Lebens. Udo Jürgens widerstand ihnen bekanntlich, indem er singend behauptete: „Immer wieder geht die Sonne auf“.
Für Barabara Möller Grund genug, dem Muster-Chansonnier in der Tageszeitung DIE WELT zum 80. Geburtstag ein stimmhaftes „Merci, Chérie“ zu flöten:
„[Jürgens] ist, jetzt lehnen wir uns mal ein bisschen aus dem Fenster, einer der größten Komponisten des 20. Jahrhunderts. […] Seit 50 Jahren gehören seine Lieder zu unserem Leben.“
Sahniges Lob
Unter der sahnigen Überschrift „Schlager mit Schlagobers“ erklärte Harald Martenstein im Berliner TAGESSPIEGEL:
„’17 Jahr, blondes Haar‘ ist kein großes Kunstwerk, war aber ein großer Hit. Das Lied kam 1966 heraus […]. Ich war 13, diese Single habe ich mir gekauft. […] Für einen 13-Jährigen des Jahres 1966 bedeutete eine Beziehung zu einem 17-jährigen Mädchen etwa das, was für den amerikanischen Präsidenten die Mondlandung bedeutete […]. Wenn ich die Single heute höre, stelle ich fest: Sie war gut.“
Das war der Refrain in den Feuilletons: Udo Jürgens‘ Musik ist gut.
„Ein Rebell mit untadeligem Haarschnitt“, frotzelte die BERLINER ZEITUNG und beendete ihren Artikel, wie auch wir nun enden: Mit Zeilen aus dem Lied „Bis ans Ende meiner Lieder“. In dem Udo Jürgens den Wellen des Lebens mit gar nicht so leichtem Sinn entgegensieht:
„‘Ich will den Text, der sich was traut / Ich will das Wort so wie ein Schwert / Ich will verdammt sein zur Revolte / Und zum Träumen frei‘“.