Aus den Feuilletons

Erinnerung an die Pest vor 300 Jahren

04:12 Minuten
Beim Rosenmontagszug in Düsseldorf zeigt am 24. Februar 2020 ein Bazzillus carneval aus Pappmachée dem Coronavirus eine lange Nase.
In Venedig fällt der Karneval wegen des Coronavirus aus - der Rosenmontagszug in Düsseldorf fand dagegen auch 2020 statt. © imago images / Bettina Strenske
Von Hans von Trotha · 24.02.2020
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Quarantäne für Besucher, Absage des Karnevals, Abriegelung von Städten - all das habe vor 300 Jahren sehr ähnlich schon einmal in Italien stattgefunden, schreibt die "SZ". Aus Angst vor der Pest. Diesmal aber ist das Coronavirus der Auslöser.
"Die Luft, das Meer, alles lacht". Was als FAZ-Überschrift so poetisch daherkommt, stürzt in der Unterzeile jäh ab: "Boccaccio, Manzoni, die Pest und ein letzter Abend der Frivolität an der Scala".
Dem Feuilleton fällt zum Stichwort "ansteckende Krankheit" immer dasselbe ein: die Pest. In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG klärt uns Klaus Bartels über den Begriff "Epidemie" auf:
"Bei diesem Stichwort denken wir über die Grippe, Aids und Sars und das Coronavirus hinaus an grassierende Menschheitsplagen früherer Jahrhunderte und zumal an die Pest. Aber schauen wir weiter zurück, präsentiert sich die 'epidemía' als spektakulärer Event in der Kultur- und Bildungsszene der griechischen Welt. Das griechische Substantiv ist zusammengesetzt aus der Präposition 'epí' - auf, bei - und dem Substantiv 'démos' - Volk, Bürgerschaft. Im klassischen Griechisch bezog sich diese 'epidemía' vornehmlich auf den Gastaufenthalt einer prominenten Persönlichkeit. Hätte das Wort seine ursprüngliche Bedeutung bewahrt, sprächen wir heute statt von einem Gastspiel von der 'Epidemie' einer gefeierten Primadonna im Opernhaus, statt von einer Gastrolle von der 'Epidemie' des Präsidenten Trump am World Economic Forum in Davos."

Virus-Geschichte aus der Vergangenheit

Lassen wir die Assoziation Epidemie – Trump mal außen vor, dann sind wir hier schon wieder in der Oper. Aus irgendwelchen Gründen wollen die Feuilletonisten uns unbedingt beibringen, dass Oper und Verderben in Zeiten der Epidemie zusammengehören. So berichtet Klaus Georg Koch in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:
"Sechzig Kilometer liegen zwischen Mailand und der abgesperrten 'roten Zone'. Aber was sind sechzig Kilometer für ein Virus, das es von China in die Lombardei geschafft hat? Die Premiere von Gioacchino Rossinis Türke in Italien an der Scala hat am Samstagabend schon etwas von einem letzten Mal. Wer weiß, wann man sich wiedersieht."
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG erzählt Rudolf Neumeier:
"In der Geschichte finden sich Parallelen zwischen früheren Epidemien und dem Ausbruch des Virus, das die Lungenkrankheit Covid-19 auslösen kann. Dass in Italien Städte abgeriegelt werden, dass in Venedig der Karneval abgesagt wird, dass Österreich am Sonntag den Zugverkehr nach Italien vorübergehend eingestellt hat – all das hat sich vor 300 Jahren schon einmal auf eine sehr ähnliche Weise abgespielt."
Auch wenn wir uns nicht recht vorstellen können, wie der Zugverkehr zwischen Österreich und Italien vor 300 Jahren abgeriegelt wurde, sind die Parallelen frappierend: Der bayerische Kurprinz Karl Albrecht wollte damals zum Karneval nach Venedig. "Doch in Verona wurde er gestoppt. Erst als sich die Venezianer wirklich sicher sein konnten, dass er ihnen keine Pest einschleppen würde, durfte Karl Albrecht einreisen. Am 3. Februar 1716 kam er an." Nach 40 Tagen Quarantäne. "Noch am selben Tag ging er in die Oper. Der Karneval 2020 ist in Venedig abgesagt", fügt Rudolf Neumeier hinzu, "Oper wird aber noch gespielt. Am Faschingsdienstag gibt das Teatro La Fenice Donizettis L’Elisir d’Amore, einen Liebestrank gegen die Pestilenz".

Epidemien als Quell schönster Literatur

Klaus Georg Koch berichtet in der FAZ sehr unmittelbar aus der Mailänder Scala: "Kubikmeter von Luft zieht der Sänger in seine riesigen Lungen, Kubikmeter von Klang bläst er in den Saal zurück. Es ist die gleiche Luft, die wir im Publikum zuvor geatmet hatten, die gleiche Luft, in die, wie immer im Theater, der eine schon trocken hineingehustet hat, der andere mit schwingenden Bronchienbläschen."
Und auch Koch stellt fest: "Die schönste Literatur verdankt Italien der Pest. Boccaccio steht am Anfang, Alessandro Manzoni setzt im neunzehnten Jahrhundert fort. In seinem Roman Die Verlobten beschreibt er die Mailänder Pest von 1630 als Orgie des Leugnens, des Aberglaubens, des Hasses auf die anderen." Und Koch zitiert aus Manzonis Roman von 1840 eine Passage, die sehr viel aktueller klingt als die Parallele mit dem abgebrochenen Zugverkehr:
"In der Zwischenzeit beschlossen die Delegierten in Windeseile jene Maßnahmen, die ihnen die besten erschienen und zogen sie wieder zurück, in der traurigen Überzeugung, dass sie nicht ausreichen würden, um einem Übel Einhalt zu gebieten, das schon derart fortgeschritten und verbreitet war."
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