Aus den Feuilletons

Farewell, Harry!

Harry Rowohlt beim Literaturfest in Salzburg im Mai 2010
Harry Rowohlt beim Literaturfest in Salzburg im Mai 2010 © imago / Manfred Siebinger
Von Arno Orzessek |
Die Feuilletons stehen heute ganz im Zeichen der Trauer um und des Andenkens an Harry Rowohlt, den zotteligen Anarchobären des deutschen Literaturbetriebs.
Nichts gegen Felicitas von Loevenberg, die Literaturkritikerin der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG! Aber muss ausgerechnet die Publizistin mit dem Hang zu Goldschmuck, adretter Föhnwelle und pittoreskem Kostüm den Nachruf auf Harry Zottelmähne Rowohlt schreiben? Auf den silbenmagisch veranlagten Schau-Säufer, drastischen Wortwitzbold und sensiblen Pointen-Junkie also, der den bürgerlichen Literaturbetrieb mit Vorliebe durch anarchistisches Mitwirken verspottet hat?
Dabei verheißt die FAZ-Überschrift – "Ein Schlumpeler in einem Garten, in dem sich alles reimte, was keimte" – ein durchaus Harry-mäßiges und Harry-gemäßes Goodbye. Das dann aber ausbleibt, weil sich von Loevenberg auf gähnende Nekrolog-Stereotype beschränkt, darunter dieses:
"Harry Rowohlt war ein mitreißender Büchermacher, der mit seiner Begeisterung andere anzustecken verstand."
Oha! Vielleicht ist es ja so, dass Felicitas von Loevenberg solche Phrasen mit muffeligem Schülerzeitungs-Hautgout drischt, weil sie aus genetischen Gründen unsensibel für das ist, was sie an Rowohlt immerhin mit spitzen Fingern hervorhebt. Nämlich seinen "Einfluss in den im Deutschen ansonsten stark unterrepräsentierten Disziplinen Slapstick und Nonsense".
"Ein Bär von Mann"
Aber nun! In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG ist das Titel-Text-Verhältnis umgekehrt.
Die SZ-Überschrift – "Ein Bär von Mann" – ist gewiss kein feuilletonistischer Edelstein. Schließlich dürfte Harry Rowohlt im Gedächtnis von fast jedem, der ihn überhaupt kennt, mit Pu, der Bär verbunden sein – Alan Alexander Milnes Roman, den Rowohlt per Übersetzung und Hörbuch so gut wie ein zweites Mal, nur dieses Mal in Deutsch erschuf.
Dafür nimmt SZ-Autor Hilmar Klute Rowohlt als schräges Unikat für voll und weiß Persönliches zu berichten. Etwa, wie ihm bei einem Besuch in Hamburg Eppendorf Rowohlt die Wohnungstür öffnete und erleichtert raunzte:
"Ich hatte eine Scheißangst, dass Sie auch noch einen Fotografen mitbringen würden." Wozu hätte man den mitbringen sollen? Harry Rowohlt, dieses ungepflegte Wappentier des oft allzu gepflegten literarischen Lebens, brauchte man nicht weiter fotografisch auszuleuchten, denn in diesem mit allen Haaren der Welt zugewachsenen Gesicht fand kein für die Öffentlichkeit interessant inszeniertes Mienenspiel statt. Rowohlt schaute meistens ernst bis grimmig, auch wenn er beiläufig wie ein Schauspieler – der er ja in einem seiner vielen Nebenberufe auch war – scharf akzentuiert, seine oft sehr komischen Sätze sagte. Die klangen immer so, als seien sie schon seit Jahrhunderten in der Welt, derart einleuchtend, lebenserklärend und quatschverliebt kamen sie daher".
- verbeugt sich SZ-Autor Hilmar Klute.
Im Berliner TAGESSPIEGEL erwähnt der Autor und Verleger Klaus Bittermann die politische Standfestigkeit Rowohlts:
"Vor Welterklärungen anderer verwahrte er sich, denn eine zusätzliche brauchte er nicht: 'Ich bin Kommunist. Da ist die mit eingebaut.' Als solcher war er allerdings nicht verbissen, nachtragend oder ideologisch. Höchstens als er mal gefragt wurde, ob er die Grünen im Wahlkampf 2005 unterstützen würde. Er schrieb knapp und lakonisch zurück: 'Lieber hänge ich tot über einem Zaun im Kosovo, als dass ich auch nur eine Sekunde lang die Grünen unterstütze'."
Klappstulle statt Sandwich
Ein Loblied auf den "All-Age-Übersetzer" singt derweil die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG:
"Harry Rowohlt übersetzte nur das, was ihm gefiel, und sein Geschmack war unbestechlich. Viele Werke der amerikanischen, englischen und irischen Literatur verdanken ihre Resonanz im deutschsprachigen Raum seiner Sorgfalt und sprachlichen Kreativität. 'Ich werde ja nicht dafür bezahlt, dass ich Sandwich mit Sandwich übersetze, sondern mit Klappstulle.' Es gehe darum, das Englische ins Deutsche zu übersetzen und nicht 'ins Übersetzte'."
Nun ist Harry Rowohlt – um es mit der Tageszeitung DIE WELT auszudrücken – "Rumpeldipumpel die letzte Treppe hinunter".
Wir sagen: Farewell, Harry! Und versichern Ihnen, liebe Hörer, dass wir unsere Rowohlt-Sonderausgabe der Kulturpresseschau nun gewiss nicht mehr mit anderen Themen verwässern. Darum nur noch ein Wort: Tschüss!
Mehr zum Thema