Aus den Feuilletons

Frankreichs Presse nimmt Merkel aufs Korn

Bundeskanzlerin Merkel und ein Flüchtling blicken Kopf an Kopf in die Handykamera des Mannes.
Die Kanzlerin auf Schmusekurs - das bringt die Franzosen in Rage. © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Von Hans von Trotha |
Die "FAZ" berichtet, wie sich die konservative Presse Frankreichs über Angela Merkels Flüchtlingspolitik echauffiert. Und die "Taz" erklärt überraschend, warum die "Bild"-Zeitung in der Asyldebatte nicht immer falsch gelegen hat.
In der FAZ würdigt Jürgen Kesting Jessye Norman zu deren 70. Geburtstag:
"Als 'simply the best' stand sie seit Mitte der 80er im Zentrum einiger Star-Produktionen: als die beste Carmen und die beste Leonore, die beste Kundry, die beste Salome, die beste Santuzza und die beste Elsa."
Da ahnt man schon, dass der Rezensent das so nicht stehen lassen will. "Nur", stichelt er denn auch, "wird eine Sängerin dadurch, dass sie die beste aller Stimmen aufbieten kann, nicht schon zur besten Darstellerin einer Rolle. Grenzen im Szenischen können auch Folge grenzenloser vokaler Opulenz sein."
Manuel Brug ist da in der WELT unter der Überschrift "Verdammt dazu, die Beste zu sein" sehr viel liebevoller und, vielleicht als Folge davon, auch lyrischer, etwa wenn er die "proto-typisch schwarze, leicht rauchig verhangene, aber mit schönem Strahl sich quasi entkleidende Stimme" beschwört. Noch seine Kritik dreht Brug charmant ins Kompliment:
"La Jessye, launisch, leicht erregbar, immer gut für absurde Sonderwünsche, wie sonst nur Madonna, beschwerde-freudig, nie mit sich und der Welt zufrieden. Aber sie teilte auch freigiebig ihre Vokalkunst mit dem hingerissenen Publikum."
Missmut der französischen Nation
Frauen Komplimente machen – das muss man können. Und jetzt stelle man sich vor, die Frau ist deutsche Bundeskanzlerin, macht bei den Flüchtlingen alles richtig, und man selbst ist Frankreich. Da wird es eng. Wolf Lepenies dazu in der WELT:
"Hinter den bissigen Kommentaren unserer französischen Nachbarn verbirgt sich der Missmut der Nation, welche die Menschenrechte erfunden hat und jetzt deutsche Humanität bewundern soll."
In der FAZ erzählt Jürg Altwegg, wie bissig es da zugeht: "'Die Deutschen haben uns unsere Juden genommen, jetzt geben sie uns Araber zurück': Mit diesem Bonmot", so Altwegg, "hat der konservative französische Politiker Patrick Devedjian, dessen Vorfahren vor dem Genozid an den Armeniern nach Frankreich flüchteten, auf Twitter die deutsche Politik kommentiert." Keine Sorge, er hat sich entschuldigt. Aber Altwegg schreibt:
"Wir zitieren sein Bonmot, weil man die Stimmung im Lande mit 140 Zeichen schlicht nicht besser wiedergeben kann."
Altwegg zitiert auch den Herausgeber von LE POINT, und zwar mit dem Seufzer: "Wenn Angela doch Französin wäre." Weiter schreibt er: "Dass Merkel Frankreich überrumpelte wie einst Hitlers Armeen, ist das latente Leitmotiv der Wahrnehmung. Auch ungeschminkt wird es formuliert: 'Wer stoppt diesen Wahnsinn?', entsetzt sich Yvan Roufiol im 'Figaro' unter dem Titel 'Das reuige Deutschland wird zur Gefahr für Europa'."
Angesichts der Flüchtlinge legen die Nationen ihre kollektive Psyche bloß. Alexander Menden erklärt in der SÜDDEUTSCHEN, warum die Engländer beim Abschotten nicht einmal rot werden:
"Die britische Zuwanderungsdebatte ist in fast allem deckungsgleich mit entsprechenden Diskursen in anderen westlichen Ländern. Was sie von diesen unterscheidet, nennt (der Historiker Tony) Kushner die 'Mythologie' einer 'angeborenen Toleranz', den 'Glauben an die gute und faire Behandlung echter Flüchtlinge'. Eine autosuggestive Strategie also, mithilfe derer Politik und veröffentlichte Meinung in Großbritannien sich ein immenses historisches Kapital im vorbildlichen Umgang mit Flüchtlingen gutschreiben."
Der kurze Sommer der Flüchtlingsliebe
Und wir Deutschen? "Der kurze Sommer der Flüchtlingsliebe", spielt die TAZ den französischen Spöttern in die Hände. Und gerade so wie die Franzosen sich einen abbrechen, Angela Merkel Komplimente zu machen, geht es der TAZ mit der BILD.
"An manchen Tagen", schreibt Daniel Bax, "war die Bild-Zeitung kaum wiederzuerkennen, so dass man sich beim Lesen die Augen reiben musste. Konsequent zogen die Blattmacher alle Register des Kampagnenjournalismus, den sie nun einmal konsequent beherrschen, nur diesmal, um für Mitgefühl mit dem Schicksal der Flüchtlinge zu werben. Der Höhepunkt dieses Lovestorms war aber zweifellos der Stadtplan in arabischer Sprache, damit sich die Flüchtlinge besser in der Hauptstadt zurechtfinden."
"Wer", zitiert Bax allerdings ein bekanntes Bonmot, "mit der Bild-Zeitung im Fahrstuhl nach oben fährt, der fährt mit ihr auch wieder nach unten. Diese Lektion in deutscher Medienlogik dürfen jetzt auch die Flüchtlinge aus Syrien kennenlernen."
Angela Merkel hat diesen Bungee-Sprung in den internationalen Feuilletons schon hinter sich.
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