Gebt uns die Probleme von gestern wieder!
Angesichts der aktuellen Probleme wie Terror und Millionen Menschen auf der Flucht sehnt sich der Publizist Henryk M. Broder in der Zeitung "Die Welt", nach den Schwierigkeiten von gestern: "Eigenheimzulage, Pendlerpauschale, Flaschenpfand und zwanglose Präsidentensausen".
Na klar, der Neid hat überwiegend keine gute Presse. Was indessen nichts daran ändert, dass wir neidisch wurden, während wir in der !!FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG!! den Artikel "Das Krokodil, das Känguru, ihr Koch und seine Mission" lasen.
Neidisch nämlich auf den Autor Jakob Strobel y Serra, der das Vergnügen hatte, nach Sydney zu fliegen, um in René Redzepis Pop-up-Restaurant "Noma" zu speisen; das Kopenhagener "Noma", mehrfach zum besten Restaurant weltweit gewählt, hat gerade zu. Setzen wir uns also für einen Augenblick zu Strobel y Serra down under an den Tisch.
"Dieser Teller ist ein Manifest, das Werk eines Aromenschatzsuchers, Geschmacksweltenentdeckers, Küchenvisionärs, Radikalnaturisten. Er hat vor Australiens Küsten Pretiosen aus dem Raritätenkabinett der Meeresfrüchtefauna gefischt und serviert uns jetzt Erdbeermuscheln und Pipis auf einem Kieselsteinkatafalk. […] Er hat die Haut von einer Hühnerbrühe vorsichtig abgehoben, sie in der Pfanne karamelisiert, danach mit Krokodilfett bestrichen und schließlich als knuspriges Blatt fein wie Gaze auf die Meerestiere gelegt."
Und so weiter.
Wenn Kochkunst zu solcher Sprachpräzision nötigt und motiviert, dann gilt beiden unser neidisches Wow! – René Redzepi und dem FAZ-Autor Jakob Strobel y Serra.
Henryk M. Broder sendet ein Gebet zum Himmel
Tja, liebe Hörer! Dem kritischen Zustand der Welt geschuldet, liegt der genussvollste Teil der Presseschau nun schon hinter uns. Und wir leiten alles Weitere mit dem Gebet ein, das Henryk M. Broder per Tageszeitung !!DIE WELT!! zum Himmel sandte:
"Lieber Gott, gib uns die Probleme von gestern wieder! Eigenheimzulage, Pendlerpauschale, Flaschenpfand und zwanglose Präsidentensausen."
Solange Gott jedoch das Pendlerpauschale-Problemniveau nicht zum irdischen Standard erhebt, drängen sich ernsteste Fragen auf – etwa jene, die in puncto Terror die !!SÜDDEUTSCHE ZEITUNG!! stellte:
"Warum wir? Warum jetzt?"
Nicht, dass der !!SZ!!-Autor Andreas Zielcke letzte Antworten gehabt hätte. Aber immerhin verdichtete Zielcke den Gedanken, dass der islamistische Terror, soweit er nihilistischen Charakter hat, im westlichen Nihilismus ein verhasstes Gegenbild findet.
"Auffällig ist [so Zielcke], dass der an den Westen selbst gerichtete Vorwurf des Nihilismus von linker und von konservativer Seite gleichermaßen erhoben wird: vom Philosophen Alain Badiou, der die 'unfassbare Leere des globalisierten Kapitalismus' beklagt, über seinen Kollegen Slavoj Zizek, der den westlichen liberalen Hedonismus eben als 'passiven Nihilismus' brandmarkt, bis hin zu Schriftsteller Michel Houellebecq und seiner Verachtung der sinnentleerten westlichen Lebenswelt."
Das Selbstbild des Westens, das die !!SZ!! übermittelte, sah finster aus. Wohingegen in der Wochenzeitung !!DIE ZEIT!! eine Überschrift mit Lichtstrahl-Charakter ins Auge fiel:
"Gute Nachricht: Der Kapitalismus ist am Ende, sagt Paul Mason. Eine neue Ära beginnt!"
Kommunismus oder Revolution keine Alternative angesichts der Panama Papers
Da Paul Masons aktuelles Buch "Postkapitalismus" am Montag erscheint, mag ihm das !!ZEIT!!-Interview im Blick auf seine Selbstvermarktung gerade recht gekommen sein. Was aber Masons Prognose angeht, vertraut er auf digitale Technologien und unsere Lust am Total-Multiplen.
"Ein Teil der Person lebt traditionell solidarisch, in der Familie, in Freundschaften oder im Dorf, einer anderer Teil arbeitet beruflich im Wettbewerb, ein dritter ist Anarchist oder Aktivist, und dann gibt es noch ein ganzes Beziehungsleben, vielleicht gar auf mehrere Smartphones verteilt. Man kann gleichzeitig aussehen wie Supermodel Claudia Schiffer, eine Syriza-Aktivistin sein, und treue Tochter und Mutter und im Job gut funktionieren, alles mithilfe der Information und Kommunikation der neuen Technologien. Sie schaffen Freiheit. Die Vervielfältigung einer Person macht widerstandfähig gegen Unterdrückung."
Puh! - haben wir gedacht: Verglichen mit Paul Masons Superdupermenschen war Nietzsches Übermensch irgendwie Kindergarten. Gegenwärtig indessen foppt der Kapitalismus die, die nicht so viel von ihm haben, durch jene, die besonders viel von ihm haben und deshalb in den Panama Papers auftauchen. Was übrigens ein wirklich hübscher Name für das weltumspannende Schwarzgeld- und Steuerhinterziehungs-Epos ist.
"Liste der Schande" schimpfte die !!TAGESZEITUNG!!, gab dem dazugehörigen Artikel die Themenbezeichnung "Zynismus", bebilderte ihn mit einem scharfzahnigen Fischmaul, in dem gerade Beute verschwindet und schrieb daneben: "Kommt sich wie ein toller Hecht vor: Der Große frisst, der Kleine wird gefressen."
Der !!TAZ!!-Autor Philipp Gessler gestand:
"Angesichts der Panama Papers möchte man am liebsten (wieder) Kommunist oder irgendwie Revolutionär werden – aber das sind ja beides Konzepte, die sich als wenig erfolgreich erwiesen haben. Desillusioniert, wäre man schon froh, wenn wenigstens die internationale Finanzaufsicht funktionieren würde. Oder so etwas wie ein weltweites Fiskalsystem, das die vielen Steuerschlupflöcher verschließt und des den einzelnen Staaten erlaubt, von ihren Reichen das an Steuern zu erhalten, was ihnen zusteht."
So der !!TAZ!!-Autor Gessler.
Doch man kann die Panama Papers auch so lesen, dass sie dem Westen ein gutes Zeugnis ausstellen. Das bewies der !!WELT!!-Autor Clemens Wergin.
"Ja, es finden sich auch Namen aus europäischen Staaten darunter, die isländische Regierung etwa trifft es besonders hart, und auch Großbritannien hat einige Einträge, so wie vereinzelt noch andere europäische Länder. Alles in allem jedoch sitzen die meisten Betroffenen dort, wo es sehr viel problematischere und korruptere Regierungspraktiken gibt als im demokratischen Westen."
Falls Sie, liebe Hörer, jetzt endlich auch etwas über den gloriosen Pennäler-Kacke-und-Erdogan-fickt-Schafe-Poeten Jan Böhmermann hören möchten, müssen wir Ihnen sagen:
Mehr als das eben Gehörte hören Sie hier nicht! Schon allein, damit wir uns noch von Lars Gustaffson verabschieden können, dem schwedischen Autor, der im Alter von 79 Jahren gestorben ist. An jener Kunst, auf die sich Gustaffson laut !!SZ!!-Überschrift ganz prima verstand, könnten Sie sich an diesem Sonntag ja vielleicht auch mal wieder versuchen.
Es ist – und damit tschüss für heute: "Die Kunst der gewieften Verführung."