Aus den Feuilletons

Gegen die Politisierung von Geschichte

Fürstbischöfliches Schloss Münster im Stil des Barock, Residenzschloss für Münsters vorletzten Fürstbischof Maximilian Friedrich von Königsegg-Rothenfels, heute Sitz der Westfälischen Wilhelms-Universität
In der Westfälischen Wilhelms-Universität fanden sich 3700 Historiker ein. © imago / Peter Seyfferth
Von Burkhard Müller-Ullrich · 28.09.2018
Wie politisch dürfen Historiker sein? Eine Resolution auf dem 52. Deutschen Historikertag in Münster wendet sich gegen den "politischen Missbrauch von Geschichte". "Warum muss ein Fachverband Parteitag spielen?", fragt Patrick Bahners in der "FAZ".
Der 52. Deutsche Historikertag versammelte diese Woche in Münster 3700 Teilnehmer, die mehr als 100 einzelne Veranstaltungen bestritten und erlebten, auf denen 550 Referenten auftraten. Man kann bei einer solchen Fülle mit den Berichterstattern nur Mitleid haben; doch bei der Parallellektüre der großen Feuilletons kristallisiert sich eine gewisse Schnittmenge heraus, und diese betrifft den "politischen Missbrauch von Geschichte".
"Gegen den politischen Missbrauch von Geschichte" lautet der Titel einer vom Historikerverband gefassten Resolution, die im Grunde gegen eine im Bundestag vertretene politische Partei gerichtet ist: die AfD. Patrick Bahners von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG ist angesichts dieser Politisierung ziemlich unwohl: "Im Historikermilieu scheint die Hegemonie des sogenannten linksliberalen Common Sense ungebrochen", schreibt er:
"Warum begnügen sich die tonangebenden Leute im Fach nicht damit, die soziale Macht, die ein solcher Konsens bedeutet, in den Formen wissenschaftlicher Kommunikation auszuspielen, durch Tagungen, Bücher, Zeitungsartikel und vielleicht auch Unterschriftslisten? Warum muss ein Fachverband Parteitag spielen mit Kompromissformelsuche in der Flüchtlingspolitik?"

Zeit, sich auch normativ zu äußern?

Ja, um Flüchtlingspolitik, und noch deutlicher: um Regierungsunterstützung und folglich Oppositionskritik geht es einer Mehrheit des Verbands. Nach Bahners Bericht wurde sogar explizit gefordert, Koalitionen von CDU und AfD und damit AfD-Kulturminister zu verhindern. Man ergreift also Partei, man möchte Politik machen, denn man sieht, um es mit den Worten des Direktors des Münchner Instituts für Zeitgeschichte Andreas Wirschung zu sagen, "eine Zeit angekommen, in der es wichtig ist, dass wir uns auch normativ äußern".
Selbst Johan Schloemann von der mit solchem Engagement grundsätzlich einverstandenen SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG hat beobachtet, "dass in der überwiegend liberalen Akademikerblase manche 'nach Chemnitz' in den Redeformen und den Diskussionsformaten exakt diejenige hektische, aufgeregte Zuspitzung übernehmen, die sie den Rechtspopulisten empört attestieren."

Historiker als "Kollektiv der Aufgeklärten"

Deswegen war das Scherzwort vom Hysterikertag diesmal vielleicht angebrachter denn je. Wie man sich dem anverwandelt, was man eigentlich bekämpfen will, zeigt sich nach Patrick Bahners übrigens auch in der "paternalistischen Einstellung gegenüber der Öffentlichkeit", auf der solche Resolutionen beruhen:
"Als Kollektiv der Aufgeklärten bringen die Historiker ein Expertenwissen in Anschlag, dessen ideologischer Charakter derzeit kurioserweise ein Lieblingsthema der zeithistorischen Forschung ist", so Bahners in der FAZ. Diese von politischem Eifer durchdrungenen Historiker müssen sich wenigstens nicht vorwerfen lassen, was einst Walter Ulbricht kritisierte: "Unsere Historiker befassen sich zu sehr mit der Vergangenheit." Mit diesem Zitat garniert DIE WELT ihren Bericht vom Historikertag.

80. Geburtstag von Historiker Michael Stürmer

Einem Historiker, dessen Drang nach politischer Einflussnahme ihn früh zur Publizistik trieb, gratuliert die FAZ zum 80. Geburtstag, nämlich Michael Stürmer. Er ist ein WELT-Historiker im doppelten Sinne, denn er schreibt seit 20 Jahren für die WELT und er hat als Universalist immer die Welt im Blick:"Massenvernichtungswaffen, Cyber War, Chaosstaaten, Terrorismus", wie Ralf Forsbach in der FAZ aufzählt. Der Gruss aus Frankfurt ist ein bisschen heikel, weil Stürmer einst im Unfrieden von der FAZ schied, deren brillanter Leitartikler er gewesen war.
In den 80er-Jahren wurde er auch Berater von Helmut Kohl, er stellte sich im "Historikerstreit" gegen Jürgen Habermas auf die Seite von Ernst Nolte und zeigte sich laut Forsbach "irritiert durch das unstet gewordene Geschichtsverständnis in einem 'Land ohne Erinnerung'. Zornig attackierte er die 'Legende vom edlen Wollen der Kommunisten, vom Versagen der deutschen Sozialdemokraten und vom Segen der Volksfront', er bedauerte die technokratische Geringschätzung der Geschichte von rechts und ihre progressive Erwürgung von links."
Das waren jetzt Zitate im Zitat – eine der typischen Schwierigkeiten von akkurater Geschichtsschreibung.
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