Glanz und Elend auf der Frankfurter Buchmesse
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Der Besuch des Kronprinzenpaares von Norwegen war eines der Top-Themen der Feuilletons der letzten Woche. Besonders Mette-Marits Glanz schien die gesamte Buchmesse zu überstrahlen. Doch dann gab es ein neues Thema: die Kritik an Peter Handke.
"Es gibt wenig Schöneres, als in die Seiten eines Buches zu greifen." Das lasen wir gern in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG – als Wort der Woche zum Thema der Woche: mit all ihren Büchern und Literaten.
"Und wie alle von der ‚Kronprinzessin‘ bezaubert waren!" Das betont auch die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG. "Eigentlich, so hat man den Eindruck, war gar nicht Norwegen das Gastland dieser Buchmesse, sondern allein Mette-Marit als das Gesicht Norwegens."
Aber ein Gesicht, zu dem auch Hände gehören, für die es wenig Schöneres gibt, als in die Seiten eines Buches zu greifen. Sie "gründete 2014 in ihrem Heimatland den ‚Litteraturtoget‘, eine Art Lesestube auf Schienen", klärte uns die Tageszeitung TAZ auf.
"Auch in der Osloer U-Bahn hat sie schon Lesungen organisiert", schrieb Jens Uthoff, der in Mette-Marits "Literaturzug" von Köln nach Frankfurt zur Buchmesse anreiste. "Auf sie konzentrierte sich die ganze Begeisterung", so die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG:
"So hofften alle sehnsüchtig, dass auf die wenig glänzende Buchwelt ein wenig Sternenstaub herabfiele, damit sie selbst endlich auch mal ein bisschen glitzern durften."
Peter Handke war das Thema der Buchmesse
Ja, ja, die Buchwelt. Manchmal gibt es wahrlich Schöneres, als in sie hineinzugreifen. "In den nächsten Tagen wird viel gestritten werden", stand in der Tageszeitung DIE WELT, "und man kann Saša Stanišić jetzt schon dafür dankbar sein, eine Debatte, die international schon seit ein paar Tagen köchelt, ins Zentrum der Frankfurter Buchmesse gebracht zu haben", meinte Mara Delius.
Der frischgekürte Träger des Deutschen Buchpreises hatte in seiner Dankesrede den frischgekürten Literaturnobelpreisträger Peter Handke ja scharf angegangen: der 1978 in Bosnien Geborene und 1992 vor dem Balkankrieg nach Deutschland Geflohene Stanišić meinte zu Peter Handkes damaligen Schriften:
"Ich hatte das Glück, dem zu entkommen, was Peter Handke in seinen Texten nicht beschreibt. Dass ich hier heute vor Ihnen stehen darf, habe ich einer Wirklichkeit zu verdanken, die sich dieser Mensch nicht angeeignet hat", wie DIE WELT ihn zitierte.
"Die Buchmesse", so DER SPIEGEL, "hatte ihr Thema". Und was für eins. "Bei den vielen Abendessen und Empfängen jenseits der Messehallen, man brauchte nur ‚Handke‘ zu sagen und war schon im Gespräch." Nur bei einem Verlagsempfang galt das offenbar nicht – ausgerechnet bei Suhrkamp, wo die Bücher des Literaturnobelpreisträgers veröffentlicht werden:
"Ironischerweise der einzige Ort, an dem nicht über Peter Handke geredet wird, vielleicht weil niemand Lust hat, mit Anlauf in ein Fettnäpfchen zu treten", meint Jan Küveler in der WELT AM SONNTAG.
"Peter Handke ist in Kriegszeiten geboren, 1942 in Kärnten, als Kind einer slowenischen Familie", lasen wir in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. "Diese Herkunft ist eng mit seinem Werk verwoben und eine der Quellen für seine Texte über Jugoslawien", warb Lothar Müller um Verständnis: "bis hin zu seiner Anwesenheit bei der Beerdigung von Slobodan Milošević im Jahre 2006".
Grabrede für Slobodan Milošević
Der frühere serbische Präsident Milošević starb während seines Verfahrens vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, Peter Handke trat bei Miloševićs Beerdigung als Grabredner auf. "Ohne Zweifel ist Peter Handke ein Autor von Weltrang", meinte in der Wochenzeitung DIE ZEIT die Schriftstellerin Eva Menasse.
"Sein literarisches Schaffen ist so bedeutend, dass es den Literaturnobelpreis verdient, es ist groß und vielgestaltig, es ist weltweit verfügbar und bekannt."
Er selber ist aber nicht für Journalistenfragen verfügbar. "Bei einem Auftritt von Peter Handke in seinem österreichischen Heimatort Griffen ist es zu einem Eklat gekommen", stand im Berliner TAGESSPIEGEL über Handkes Reaktion dort auf Fragen zur aktuellen Debatte.
"Er brach das Gespräch ab und fügte noch hinzu, dass er nie wieder Journalistenfragen beantworten wolle." Vorher hatte er aber noch "erregt" dieses gesagt: "Ich bin ein Schriftsteller, komme von Tolstoi, von Homer, von Cervantes, lasst mich in Frieden und stellt mir nicht solche Fragen!"
Tolstoi würde sich wehren
Es gibt wenig Schöneres, als in die Seiten eines Buches von Leo Tolstoi zu greifen. "Tolstoi war ein Pazifist von solcher Strenge", so die TAZ, "dass er sich lieber hätte henken lassen als, wie Handke, Zeit mit Menschen zu verbringen, die unter Verdacht stehen, einen Völkermord organisiert zu haben, an seiner Durchführung unmittelbar beteiligt gewesen zu sein", empörte sich Tijan Sila.
"Der gravierendste Unterschied zwischen Handke und Tolstoi zeigt sich in der Betrachtung der Despoten", findet auch die WELT AM SONNTAG. "Tolstoi schildert zwar auch den Franzosenkaiser Napoleon Bonaparte als Wesen, das das, was es angerichtet hat, auch kaum besser durchschaut als der einfache Soldat", schreibt Matthias Heine.
"Er spricht ihn aber nicht von persönlicher Verantwortung frei. Dagegen ist alles, was Handke zu Slobodan Milošević geschrieben hat, eine Legende vom unschuldigen Märtyrer, den der moralisch inkompetente Westen zu Unrecht gerichtet hat."
Da greifen wir jetzt zu Jan Küvelers Buchmessenreport in der WELT AM SONNTAG: "Man braucht dringend eine Pause von Wein und Handke." Am besten bei einem guten Roten.