Aus den Feuilletons

Gott in Kino und Kirche

Jesu Kreuzigung nachgestellt am 3. April 2015 in Indonesien.
Jesu Kreuzigung nachgestellt. © imago
Von Arno Orzessek |
Die Feuilletons vom Karsamstag werden beherrscht von Religiösem: der Renaissance von Glaubensfilmen im Auftrag evangelikaler Gruppen, dem Einfluss Cranachs auf Bachs Johannespassion und Péter Esterhazys modernem Evangelium "Die Markus-Version".
"Mit größtmöglicher Wucht und Nachdrücklichkeit die Unmöglichkeit und gleichzeitig Unumgänglichkeit des Seins formulieren",
genau das will laut TAGESZEITUNG die – uns unbekannte – Band Gewalt, der wir ob der zitierten Berufsauffassung jedoch witzig-ironische Eigenschaften zutrauen.
Benjamin Moldenhauers Gewalt-Vorstellung erscheint unter dem TAZ-typischen Titel "Brutal ohne Pimmelhaftigkeit" – eine Wortwahl, die wiederum untypisch für die frischen Feuilletons ist.

Gottvater als musikalisches Fundament bei Bach

Denn auch am diesjährigen Karsamstag erfreuen sich religiöse Themen großer feuilletonistischer Aufmerksamkeit. Die absehbarerweise Johann Sebastian Bach einschließt, laut Friedrich Nietzsche bekanntlich "Anfang und Ende" aller Musik.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG führt ein schönes, von Begeisterung getragenes Interview mit René Jacobs.
Der belgische Dirigent, Sänger und Musikwissenschaftler hat Bachs Johannes-Passion gleich in zwei Fassungen neu eingespielt.
Und zwar, weil Bach für Aufführungen in der Nikolai- und der Thomaskirche in Leipzig einst seinerseits unterschiedliche Versionen komponiert hatte.
Die letzten Gründe dafür kann auch Jacobs nicht aufdecken. Er meint aber, dass Bach in der Nikolai-Version auf das Cranach-Gemälde, das damals dort hing, reagiert habe. Es zeigt eine Kreuzabnahme samt Gottvater und dem Heiligen Geist als Taube.
"Cranachs Bild [so Jacobs] können Sie, wenn Sie wollen, in Bachs Musik wiederfinden: In 'Herr, unser Herrscher' klagt die Oboenmelodie vom Leiden Christi. Die Wellenbewegung, die darunter liegt, von den Geigen gespielt, das ist der Flügelschlag der Taube, die Schwingen des Heiligen Geistes. Und Gottvater, der bildet das Fundament, das sind natürlich die Bassfiguren."

Konjunktur der Glaubensfilme

Indessen spielt die Passions- und Ostergeschichte auch im US-amerikanischen Kino eine Hauptrolle.
Unter dem boshaften Titel "Wollt Ihr spirituelle Labung? Hier ist sie!" berichtet die Tageszeitung DIE WELT über die Konjunktur der "Glaubensfilme" und namentlich über "Auferstanden" von Regisseur Kevin Reynolds.
"'Auferstanden' […] macht aus dem Osterevangelium eine Art Politthriller mit verschwundener Leiche, Fahndung durch Sondereinsatzkommandos, Verdächtigenverhören und Resultate einforderndem Vorgesetzten. Die subtil dominante Geschichte jedoch ist – ganz im Sinn der evangelikalen Auftraggeber – eine der spirituellen Bekehrung. Alle Anhänger Yeshuas [also Jesus'], bemerkt Clavius, sind von einer unglaublichen inneren Ruhe und zeigen keine Angst; sie scheinen einer höheren Macht zu dienen, einer größeren als dem größten Imperium aller Zeiten, dem Römischen Reich."
So Hanns-Georg Rodek in der WELT.

Am Golgatha wehte pausenlos der Wind

Ebenfalls passend zum Karsamstag: die Kritik von Péter Esterházys "Die Markus-Version" in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Immerhin wird in dem Geschichten-Buch, wie Thomas Steinfeld erläutert, "Gott zum leibhaftigen Familienmitglied. Und ein Taubstummer will von ihm wissen, wie viele Sätze er erschaffen hat."
Wir empfehlen die Lektüre der Besprechung.
Beschränken uns hier aber auf ein Zitat des Erzählers in Esterházys Markus-Version, das die SZ unter eine beeindruckende, von Sturmwolken überflogene Teil-Ansicht des Bildes "Aufstieg zum Kalvarienberg" von Peter Brueghel dem Älteren stellt.
"Mein Bruder meinte, am Golgatha wehte pausenlos der Wind. Alle hatten Kopfschmerzen, Christus, die Soldaten, die Gaffenden, natürlich auch die beiden Schächer."
Golgatha als universeller Kopfschmerz in unwetterhafter Welt: Das gefällt auch Agnostikern wie uns.

Der Kick des radikalen Hörens

Wer zur Andacht nicht bis Golgatha pilgern will, findet – wie die FAZ unter dem Titel "Prächtig in der freien Luft" berichtet – in der Münchener St. Michael-Kirche ein Kruzifix von Giambologna.
Es ist laut Patrick Bahners nach 198 Jahren "wieder aufgestellt worden, wo es hingehört: mitten in der Kirche".
Bleibt zu erwähnen, dass sich der Feuilletonist René Scheu in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG - man möchte sagen: ganz ohne Scheu - selbst lobt, indem er schreibt:
"Feuilletonisten sind Freunde des ungezwungenen Vernunftgebrauchs, Athletinnen des freien Denkens."
Zu Ihren Gunsten, liebe Hörer, hoffen wir, dass Sie den Kick kennen, der in der TAZ Überschrift wurde:
"[Den] Kick des radikalen Hörens."