Gottes Segen, Gottes Desinfektion
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Die "Süddeutsche Zeitung" schreibt über ein Dilemma gläubiger Christen in Zeiten des Coronavirus: "Einerseits müsste man beten, andererseits schwebt die Ansteckungsgefahr über den Kirchenbänken. Besser daheimbleiben?" Oder reicht Desinfektionsmittel?
Corona, Corona, Corona. Auch in den Feuilletons vom Donnerstag, dem Tag, an dem die Leipziger Buchmesse öffnen sollte. DIE WELT versucht, ihre Leser zu trösten, indem sie neun ihrer Autoren eine Kurz-Hommage auf die Messe hat schreiben lassen. Allerdings klingt das Ergebnis nicht wirklich nur hommagehaft.
Hommagen an eine abgesagte Buchmesse
So schreibt Jan Küveler: "Leipzig soll ja eine Buchmesse sein. Als langjähriger Wahlfrankfurter kann ich solche Gerüchte nicht ernst nehmen. Einmal lief ich durch lange Gänge, in denen Millionen verkleidete Mädchen mit rosa Haaren kauerten."
"Das ist ja das (einzig) Gute dieser deprimierenden Tage, man kann alles irgendwie auf Corona schieben. Kommt keiner zu einer Buchvorstellung, muss es am Virus liegen", schreibt Jan Jekal in der TAZ über eine "überschaubar" besuchte Buchpräsentation von Wolfgang Kubicki in Berlin.
"Noch nie ist das Kulturleben in Friedenszeiten und demokratischen Ländern so umfassend eingeschränkt worden", urteilt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG und füllt ihre erste Feuilletonseite mit einem Überblick über die betroffenen und bisher nicht betroffenen Institutionen.
"In Zeiten einer Pestilenz sind Gottesdienstbesuche ein zwiespältiges Unterfangen. Einerseits müsste man beten, andererseits schwebt die Ansteckungsgefahr über den Kirchenbänken. Besser daheimbleiben?", heißt es da.
Dann wird der Münchner Pfarrer und Buchautor Rainer Maria Schießler mit den Worten zitiert: "Was wäre das für ein Glauben, wenn schon Gläubige in Panik geraten?!" In seiner Kirche würden zum Schutz Desinfektionsmittelspender aufgestellt. "Gottes Desinfektion" lautet die Überschrift.
Die Premiere findet auch ohne Publikum statt
"Cannes kann kommen", jedenfalls nach dem jetzigen Stand, heißt es auf derselben Seite, auf der überhaupt fröhlich alliteriert wird: Unter dem Titel "Dicht und Dichtung" erfährt man über die Münchner Theaterszene:
"Diesen Donnerstag hätte am Münchner Residenztheater Franz Xaver Kroetz' Stück 'Der Drang' Premiere gehabt; die findet nun statt, auch weil die Regisseurin Lydia Steier hochschwanger ist und die Arbeit abschließen will. Aber es schaut niemand zu. Außer der Leitung des Hauses."
"Wie lange können sich Bühnen halten, die auf bezahlende Zuschauer angewiesen sind?", fragt Peter Kümmel in der ZEIT. "Die Perspektiven sind düster, und das einzig irgendwie Erheiternde ist die Theatervision, dass selbst Donald Trump künftige Wahlkampfauftritte eventuell in leeren Hallen abhalten und streamen wird: mit Beifall, der vom Tonband zugespielt werden muss."
Do-It-Yourself-Atemmasken bei Walmart
Aus den USA berichtet Nina Rehfeld in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, wie Menschen versuchen, Kapital aus der Angst vor dem Virus zu schlagen. Sie stellt eine Katastrophenzeitschrift vor, die sie in einer Drogerie in Arizona entdeckt hat, und verweist auf die zahllosen selbstverlegten Überlebensleitfäden bei Amazon:
"Vom 'Ultimate Coronavirus Survival Guide', der im Untertitel die Enthüllung von 'Geheimnissen zur Vermeidung der ansteckenden Krankheit' verspricht, über 'Holistische Hilfe' mit Nahrungsmitteln, die das Immunsystem stärken sollen, bis hin zu einer Anleitung für 'Do-It-Yourself-Atemmasken' aus 'Materialien vom örtlichen Walmart' - für den Fall, dass die Profimasken ausverkauft sind."
"Corona, Corona, Corona." Vielleicht werden Gilbert & George das schon bald regelmäßig ausrufen. Denn in der ZEIT verrät nun das Künstlerpaar:
"Bei jeder Pressekonferenz der letzten anderthalb Jahre haben wir die Anwesenden mit den Worten begrüßt: Guten Abend. Trump, Trump, Trump. Brexit, Brexit, Brexit. Können wir nun über die Ausstellung sprechen?"