"Hilfe, ich werde diskriminiert!"
In Europa regieren alte weiße Männer, oder doch nicht? Der Publizist Henryk M. Broder beschwert sich wegen dieser These einer jungen Politikerin bei der Antidiskriminierungsstelle. Das und mehr in unserer Kulturpresseschau.
"Hilfe, ich werde diskriminiert!", klagt – per Überschrift – Henryk M. Broder in der Tageszeitung DIE WELT. Und berichtet von einer Talkshow, in der sich die Europa-Politikerin Terry Reinke pikiert vom "‘Europa der alten weißen Männer‘" distanziert hat.
Nun darf man unterstellen: Ein Broder, weiß an Haaren und allmählich alt, wie ein Foto in der WELT beweist, doch nach wir vor wehrhaft, fühlt sich von einer 27-jährigen Nachwuchskraft nicht wirklich diskriminiert. Trotzdem bat Broder die Antidiskriminierungsstelle des Bundes darum, in "dieser Causa aktiv zu werden" – was die angerufene Stelle aber nicht tat.
Was sie kürzlich jedoch sehr wohl getan hat – und das ist für Broder so lächerlich wie empörend: Die Antidiskriminierungsstelle hat in Person von Christine Lüders die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff angepfiffen. Und zwar, weil Lewitscharoff in ihrer Dresdner Rede gefragt hatte, ob lesbische Paare Kinder bekommen sollen.
Darüber platzt Broder der Kragen:
"Wenn man die Frage, ob ein lesbisches Paar Kinder bekommen sollte, nicht mehr stellen darf, ohne umgehend von der Leiterin einer staatlichen Einrichtung abgemahnt zu werden, und wenn einem die Auswahl zwischen vier Geschlechtern angeboten wird – weiblich, männlich, trans- und intersexuell – dann zeigt das nicht, wie ‚inklusiv‘ und ‚tolerant‘ eine Gesellschaft geworden, sondern wie nah sie an den Abgrund herangerückt ist, in dem der nackte Wahnsinn den Ton angibt. Es ist Klientelpolitik und Populismus vom Schlimmsten."
So Henryk M. Broder…
Dem wir heute, es mag eine Premiere sein, teils beipflichten möchten. –
Besteigen wir nun jene "Heitere Geisterbahn", mit der man laut der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG davonbraust, wenn sich auf die Cindy-Sherman-Retrospektive "Untitled Horrors" im Kunsthaus Zürich einlässt. Das klingt ganz nett. Aber es gibt einen metaphorischen Haken: Folgt man NZZ-Autor Samuel Herzog, verkehrt die Sherman-Geisterbahn auf zweifelhafter Route.
"Zu der leicht gruseligen, etwas ekligen Stimmung [im Kunsthaus] trägt […] die Ausstellungsarchitektur einiges bei, die mit ihren verschiedenen Kurven einen intimen bis engen, schlauchartigen Raum schafft – fast ist man geneigt, an eine Art Verdauungsorgan zu denken. Allem Masten in diesem Darm zum Trotz aber lässt die Schau seltsam unberührt […]. Die gähnenden Abgründe [in Shermans Fotografien] sind durch die Inszenierung geschickt ausgetrippelt."
Verstehen Sie das, liebe Hörer? ‚Gähnende Abgründe‘ ‚geschickt ausgetrippelt‘ und zwar ‚durch Inszenierung‘… Vielleicht muss man – wie die NZZ – in Sichtweite hoher Berge residieren, um derart steile Metaphern zu riskieren.
Aber nun. In klaren Worten feiert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG den Internet-Kritiker Jaron Lanier, der den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält, als "Gewissen der digitalen Welt".
"[Lanier] ist ein riesiger Mann mit Dreadlocks, die ihm bis über das T-Shirt hängen. Statt der Powerpoint-Fernbedienung nimmt er bei seinen Auftritten als erstes eine Khene, eine Esray oder ein anderes der obskuren Instrumente, die er in seinem Haus in Berkeley gesammelt hat, und entlockt ihm eine schöne Improvisation. […] Lanier mag den weisen Narren geben, doch in Wahrheit ist er viel tiefer mit der digitalen Kultur vertraut, als die Braven, Begabten und Cleveren, welche die Tech-Welt anführen", verbeugt sich Jörg Häntschel.
Frank Schirrmacher, Herausgeber der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und selbst zorniger Big Data-Kritiker, erklärt Laniers Standpunkt, als wäre es sein eigener:
"Lanier wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass man nicht von Geheimdiensten reden und von der Überwachungs-Ökonomie der Industrie-Giganten schweigen könne. Der überwachte Konsument wird in einer Welt, wo auch der Bürger nur noch als Konsument wahrgenommen wird, zur normativen Erscheinungsform des sozialen Lebens. Ein Drittes gibt es nicht […]. Wer glaubt, sich entziehen zu können, unterschätzt, dass der Nicht-Gebrauch der Technologie ihn schon bald vom gesellschaftlichen Leben ausschließen wird." -
Schön, dass Sie wieder dabei gewesen sind, liebe Hörer. Das gibt uns die Gelegenheit, uns mit einer SZ-Überschrift zu verabschieden. Sie lautet: "Danke, toll, auf Wiedersehen".