Immer wieder Böhmermann
Viel Lob gab es für Jan Böhmermann nach seiner Sendepause - aber auch Tadel: Die FAZ zeigt sich genervt über dessen "peinliches Sandkastenspiel", und in der "Welt" macht Tomi Ungerer den Satiriker gar für den drohenden Weltuntergang verantwortlich.
"Trink deine Schokolade nicht mit den Fingern", war in der ZEIT zu lesen. Aber nicht nur dort erfuhr man Tipps und Tricks für alle Lebenslagen, sondern überhaupt in den Feuilletons dieser kulturell recht nachrichtenarmen Woche. Und das gilt auch noch für die Blätter vom Sonntag.
Dass jener Rezensent der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG, der eine "Anleitung zum ethischen Leben" bespricht, ausgerechnet Eberhard Rathgeb heißt, wirkt da schon wie ein augenzwinkernder Kommentar zu den Feuilleton-Artikeln dieser Woche, die, mal vordergründig, mal etwas versteckt, so viel Rat zu geben scheinen wie nie zuvor.
Unmoralisch Geld verdienen mit Amazon
Wider Willen gab Michael Moorstedt mit seinem Artikel in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG den Tipp, wie man unmoralisch und ohne Mühe Geld verdienen kann. Es ging um eine Flatrate bei Amazon für E-Books, die Hobbyautoren schreiben. Das Lesegerät Kindle sendet dem Unternehmen Informationen darüber, wie viele Leser bis zu welcher Seite welches E-Book gelesen haben. Daraus wird berechnet, wieviel Geld die jeweiligen Autoren bekommen.
Allerdings können die E-Book-Reader nicht zwischen gelesenen und überblätterten Seiten unterscheiden. Und das nutzten Betrüger aus, wie Moorstedt erklärte und damit wohl manch einen auf dumme Gedanken brachte:
"Statt handfeste Liebesschmöker zu schreiben, füllen sie ihre E-Books reihenweise mit Nonsens-Text und versehen das Inhaltsverzeichnis mit einem Link, der den Leser zur letzten Seite führt. Und wenn man auf diese Seite klickt, registriert Amazon alle dazwischenliegenden Seiten automatisch als gelesen."
Damit nähmen sie den redlich arbeitenden Hobbyautoren einen beachtlichen Teil ihrer Tantiemen weg. Und zwar jeden Monat "einen Millionenbetrag".
Dating-App für Flüchtlinge
"Für Said war Tinder eine Befreiung von all dem, was ihn ausschloss und abwertete", schreibt Carolin Wiedemann in der FAS über die Erfahrungen eines syrischen Flüchtlings, der mithilfe der oft als oberflächlich kritisierten Dating-App eine deutsche Freundin fand.
"Hier zählten nur sein Bild und dann, wie und was er schrieb. Dass er kein Geld hatte, in einer Notunterkunft gefangen war, stank, weil er nicht duschen konnte, und keine sauberen Sachen mehr hatte – das merkten die Frauen nicht, mit denen er chattete."
Tinder zeigt auf dem Smartphone an, welche anderen Mitglieder in der Nähe sind. Das nutzen nicht wenige zu schnellen, unverbindlichen Sextreffen. Aber dass die App auch Vorurteile abbauen kann, zeigt Carolin Wiedemann in ihrem Artikel, der wie ein Tipp für Flüchtlinge wirkt.
Helikoptereltern, aufgepasst!
Wie wird man ein so guter Klavierspieler wie der Russe Daniil Trifonow? Die Frage schwebt über dem Interview, das der SPIEGEL mit ihm geführt hat. Vor Auftritten spiele er gerne im Wasser Klavier. Also ohne Klavier. Wer mit den Fingern im Wasser eines Schwimmbades klimpere, entspanne dabei die Muskeln. Und um seine Hände beweglicher zu machen, habe er sich schon "Billardkugeln in einer Tüte ans Handgelenk gehängt". Falls bald in Deutschland alle Billardkugeln ausverkauft sein sollten, könnten ehrgeizige Eltern dafür verantwortlich sein…
Einen harmloseren Tipp transportierte Jens Malte Fischer in seinem SZ-Artikel zum 100. Todestag des von ihm verehrten Komponisten Max Reger. Von Reger kann man nämlich lernen, wie man mit Sprache und Humor Kritik verarbeitet. So heiße es in einem Brief des Komponisten: "Ich sitze im kleinsten Raum meines Hauses und habe Ihre Kritik vor mir. Bald werde ich sie hinter mir haben." Reger habe sich zu Tode gearbeitet. Nur 43 Jahre wurde er. Da hatte er schon die Opuszahl 146 erreicht.
Erik Satie - ein musikalischer Analphabet?
Der Vater von Erik Satie hat dem ersten Stück seines damals 19-jährigen Sohnes einfach mal frech die Opuszahl 62 verpasst, berichtete Volker Hagedorn in der ZEIT zum anstehenden 150. Geburtstag des französischen Komponisten. Der gab seinen Werken gerne absurd-komische Namen: einem Klavierstück um 1913 zum Beispiel die eingangs zitierte Aufforderung: "Trink deine Schokolade nicht mit den Fingern".
1962 schrieb der französische Komponist Jean Barraqué in einem Buch über den längst verstorbenen Satie, er sei "musikalisch ein kompletter Analphabet". Dafür, erinnerte Hagedorn, sei er wegen "Verleumdung toter Verwandter" verurteilt worden und habe 3000 Francs Strafe zahlen müssen.
Jan Böhmermanns "peinliches Sandkastenspiel"
Das könnte Jan Böhmermann interessieren. Der Satiriker moderierte in dieser Woche die erste Sendung von "Neo Magazin Royale" nach der selbstauferlegten Pause während der Staatsaffäre um sein vermeintliches Schmähgedicht auf den türkischen Präsidenten. Es gab Lob für die Sendung. Michael Hanfeld kritisierte in der FAZ allerdings mit Blick auf die Affäre, Böhmermann beschäftige das Land seit Wochen mit "diesem peinlichen Sandkastenspiel":
"Er denkt, er kann tun und lassen, was er will. Er denkt nicht an das Persönlichkeitsrecht und er denkt, es genüge, dem Kanzleramtsminister Peter Altmaier zu twittern und an die Bundeskanzlerin zu appellieren, damit sich ja kein Gericht mit seinem Auftritt beschäftigt."
Im Dritten Weltkrieg gegen den unsichtbaren Feind
Dass der Zeichner und Autor Tomi Ungerer im Gespräch mit der WELT AM SONNTAG Jan Böhmermann auch noch für den drohenden Weltuntergang mitverantwortlich macht, geht dann aber vielleicht doch etwas zu weit. "Ich bin kein Richter", sagt Ungerer. "Aber wer übertreibt, wird nicht mehr ernst genommen. Wir sind Ratten in einem Rennen in den Tod. Ich würde mich heute als Künstler der Apokalypse widmen: Wir befinden uns im dritten Weltkrieg mit einem Feind, den man nicht sieht, Frankensteinmenschen, die wir mit unserer Arroganz groß gemacht haben."
Bleibt die Frage, welcher Ratschlag überhaupt noch in der Apokalypse wichtig ist. Vermutlich der: "Trink deine Schokolade nicht mit den Fingern".