Improvisationen über die Liebe im Alter
Geradezu überschwänglich feiern die Feuilletons den Fernsehfilm "Altersglühen", bei dem namhafte Schauspieler zwei Tage lang Szenen über die Libido im Alter improvisierten. Die Libido des Carl Schmitt hingegen ist Thema eines neuen Buches.
"Elch des Sturmwinds", heißt eine Überschrift in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Und bei aller Liebe zu schaufelgeweihten Paarhufern und flott bewegter Luft: Wir fanden die Überschrift beim ersten Lesen doof. Und beim zweiten noch doofer.
Welche Realität könnte man denn, bitte schön, mit der verblasen-trampeligen Metapher "Elch des Sturmwinds" verständlich umschreiben? Nun - klären wir die Sache auf! Tatsächlich rezensiert SZ-Autor Stephan Speicher das Buch "Die Schiffe der Wikinger" von Rudolf Simek – und hebt hervor:
"Die Wikinger haben ihre Schiffe geliebt. Sie haben sie geschmückt, sie haben sich mit ihnen bestatten lassen, sie haben sie mit poetischer Lust benannt: 'Falke des kühlen Landes' oder 'Elch des Sturmwinds'. 'Starkes Zugtier der Umgürtung aller Länder' hieß ein Lastschiff. Seine Herren fühlten sich als Bewohner einer globalisierten Welt. Respekt!"
Und nun, liebe Hörer, wissen Sie auch, warum wir "Elch des Sturmwinds" für eine grandiose Überschrift halten: Weil sie über ein Jahrtausend hinweg ein Gefühl für die Schiffsliebe der Wikinger auf uns überträgt.
Der Staatsrechtler und die Libidio
Um bei der Liebe zu bleiben: Der Staatsrechtler Carl Schmitt liebte mehr als die Schiffe die Frauen, gern auch mehrere gleichzeitig. Und er tat es, wie vermutlich jedermann, auf spezielle Weise.
Das und noch viel mehr geht aus "Der Schatten Gottes" hervor. So heißt die Sammlung von Schmitts Tagebüchern und Briefen der frühen 1920er-Jahre, die im Berliner Verlag Duncker und Humblot erscheint.
In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG bemerkt Stefan Breuer:
"Hier präsentiert sich ein Autor, der weit davon entfernt ist, über den Ausnahmezustand zu bestimmen, der sich vielmehr mitten darin befindet und in ihm von einer extremen Affektlage zur anderen gerissen wird. Da ist die 'schauerliche Spannung der Libido', die 'furchtbare Gier nach einer Frau', das Gefühl, 'dem Explodieren nahe zu sein' – Folge des Umstands, dass die Objekte seiner Begierde meist abwesend sind."
Letztlich bequemt sich NZZ-Autor Breuer zu keiner Lese-Empfehlung, was aber Carl Schmitt-Fans, und davon gibt es gar nicht wenige, sicher ignorieren werden.
Speed-Dating für Senioren
Um die Libido – und zwar die der fortgeschrittenen Jahre – kreist auch der Speed-Dating-Film "Altersglühen", der an diesem Mittwoch in der ARD läuft. Die Serie gleichen Namens startet am Donnerstag im WDR- und NDR-Fernsehen.
Entzückt äußert sich Ursula Scheer sich in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:
"Was für eine Idee in der Tat, die der Regisseur Jan Georg Schütte hatte: Mehr als ein Dutzend namhafter deutscher Schauspieler hat er für zwei Drehtage in einen großen Raum gesteckt und ohne Drehbuch vor neunzehn Kameras frei improvisieren lassen, wovon sein 'Altersglühen' nun handelt: Von 42 Kurzbegegnungen, in denen Zufallspaare sich für die Dauer von ein paar Sätzen und Blicken annähern und abstoßen, zwei einander vielleicht finden, verfehlen oder einfach nur nett unterhalten. Zum Verlieben ist jeder einzelne von ihnen."
So wie hier die FAZ-Autorin Scheer sind es auch in den anderen Blättern stets Rezensentinnen, denen "Altersglühen" das Herz erwärmt.
"Hochachtung, Chapeau, und: Dankeschön!", weiß sich Evelyn Roll in der SZ kaum zu fassen.
"Chillen ohne Ende"
Mokant bis maliziös hingegen kritisiert in der Tageszeitung DIE WELT Richard Kämmerlings "Die Mannschaft", den Kinofilm des Deutschen Fußballbunds, der den WM-Triumph in Brasilien und vor allem das Herumlungern im Campo Bahia verherrlicht.
"Wer 'Die Mannschaft' schaut, kann den Eindruck bekommen, die deutschen Spieler wären nur deswegen Weltmeister geworden, um ihren geilen Urlaub möglichst lange ausdehnen zu können. Chillen ohne Ende."
Ein prima Stichwort, um zum dekadenten Schluss zu kommen, der heute nicht nur aus einer, sondern aus zwei Überschriften besteht – die erste aus der NZZ, die zweite aus der SZ:
"Machen wir's kurz" – "Lasst uns in Champagner baden".