Aus den Feuilletons

In den europäischen Städten herrscht die Angst

Demonstranten der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung in Dresden am 23. November 2015
Bindet "vagabundierende Ängste" in der Bevölkerung: die islamfeindliche Pegida-Bewegung © dpa/picture-alliance/SPD-Obmann Flisek
Von Hans von Trotha |
Flüchtlingskrise und IS-Terror verstärken bereits vorhandene Ängste in der westlichen Welt. Dies zeige sich nicht nur im Zulauf zu Pegida, so die "taz", sondern auch in einer zunehmenden "Fortifizierung" und Überwachung in den Städten, meint die NZZ.
Der Islamwissenschaftler Erdogan Karakaya fragt in der FAZ:
"Wie kommen die IS-Mörder auf die Idee, sie seien Märtyrer? Der Koran lehrt das nicht. Märtyrer sind nicht Märtyrer, weil sie einen Tod gestorben sind, sondern weil sie ihr ganzes Leben vielmehr dem Erhalt des gottgegebenen Lebens in Würde gewidmet haben. Selbstmordattentäter und Terroristen missachten daher jegliche Werte des Islams. Nicht der Tod, sondern das Leben ist zu glorifizieren, das dem Menschen im Namen eines barmherzigen und allerbarmenden Gottes geliehen wurde."
Pegida als Spätfolge "nicht aufgearbeiteter Kriegstraumata"
Da ist noch viel theologische Überzeugungsarbeit nötig. Solange die nicht erfolgt ist, herrscht in den europäischen Städten die Angst. Zu diesem Thema scheinen inzwischen alle Feuilletonisten ihre Meinung gesagt zu haben. Bleiben Gastautoren und Interviews. Im TAZ-Gespräch erklärt die Journalistin Sabine Bode, Pegida gehöre zu den "Spätfolgen nicht aufgearbeiteter Kriegstraumata":
"Diese Menschen wollen keine Veränderung. Und was gerade in Deutschland läuft, treibt sie fast in den Wahnsinn. Das ist ein tolles Beispiel für vagabundierende Ängste, also unbestimmte Ängste, die man nicht zuordnen kann. Da greift man sich dann irgendetwas heraus. Bei Pegida sind es die Islamisten. Bei Pegida sind es die Islamisten, die in deren Rhetorik zu Millionen durch Sachsen stiefeln. Soweit ich weiß, ist der Anteil an ehemaligen Heimatvertriebenen im Zweiten Weltkrieg in Dresden und Umgebung sehr hoch."
Fleiß und Tugendhaftigkeit sind keine Garantie für Wohlergehen mehr
In der SÜDDEUTSCHEN antwortet der Rechtsextremismusforscher David Begrich auf die Frage: "Warum Pegida aus der Flüchtlingsfrage im Osten Kapital schlagen kann":
"Die Flüchtlinge werden zur Projektionsfläche des Krisenbewusstseins. Dessen Kern liegt darin, dass der Kapitalismus nach der Wende das Versprechen gab: Wenn du fleißig und tüchtig bist, kannst du es schaffen. Die Wahrheit ist: Es gibt auch im Falle von Fleiß und Tugendhaftigkeit keine Garantie mehr auf Wohlergehen."
Gefragt, was sich aktuell geändert hat, sagt Begrich:
"'Paris' bestärkt den antimuslimischen Rassismus und hat also einen Rückkopplungseffekt in der politischen Rechten."
"Fearscapes" im öffentlichen Raum
Aber offenbar nicht nur das. Die "Auswirkungen des Terrorismus und seiner Bekämpfung auf den öffentlichen Raum" analysiert Adrian Lobe in der NZZ. Dabei bemerkt er:
"Es gehört zu den irritierendsten Phänomenen der Moderne, dass westliche Gesellschaften heute zu den sichersten, aber zugleich auch zu den ängstlichsten Gesellschaften überhaupt zählen. Und diese Angst manifestiert sich auch im öffentlichen Raum. Der Geograf Simone Tulumello spricht von 'fearscapes', von Raum gewordenen Verdichtungen von Furcht. Sie sind nicht unbedingt sichtbar, aber spürbar. Eine Dimension ist die Fortifizierung, die andere die Überwachung. Es scheint, als würde mit der zunehmenden Terrorgefahr die Dystopie einer schon vor Jahrzehnten vorhergesagten total überwachten Stadt ein Stück realer werden."
Aber auch ohne die Angst drohen uns gruselige Städte, behauptet derselbe Adrian Lobe, indem er uns, nun in der FAZ, Angst vor einer "Google-Stadt" der Zukunft macht, einem "Gehege, in das uns der Online-Konzern als urbane Datenprimaten sperren will: bestimmt bequem, aber ohne Auslauf".
"Seit einem Jahr beschäftigt sich das Projekt 'Google Y' mit der Frage, wie der Netzgigant die Datenströme in den Städten der Zukunft organisieren kann. Googles Idealstadt wäre ein Labor der Subjektivität, in dem das Individuum so berechenbar wird wie der Stromverbrauch."
Museumsraub während der Preisverleihung
So verschwindet allmählich alle Kultur aus der Stadt. Aber Vorsicht, die verschwindet auch ohne Terror, Angst und Google, wofür die Feuilletons täglich Beispiele liefern. Heute: Verona. Niklas Maak schreibt in der FAZ über einen spektakulären Raub:
"Die Täter ließen sich Zeit: 70 Minuten, um das Museo Civico di Castelvecchio in Verona auszuräumen und dann seelenruhig im Auto des gefesselten Wächters wegzufahren – mit 17 Renaissance- und Barockgemälden im Kofferraum. Der Direktorin des Museums, Paola Marini, wurde während des Raubzugs nur ein paar hundert Meter vom Museum entfernt ein Preis verliehen."
Angesichts von Maaks Vermutung, "die Bezifferung des Schadens mit 16 Millionen Euro dien(e) angesichts der Werke, die dabei verlorengingen, wohl eher der Beruhigung der Öffentlichkeit", kann man nur hoffen, dass es ein gut dotierter Preis gewesen ist.
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