Aus den Feuilletons

Ist Literatur ein Wegbereiter für Terror?

Vermummte palästinensische Kämpfer im August 2008. P
Vermummte Kämpfer. © picture alliance / EPA / Ali Ali
Von Arno Orzessek |
In der "Süddeutschen" zitiert der Feuilletonist das "Zweite surrealistische Manifest" von André Breton, um zu belegen, dass die Literatur Terror und Amokläufern den Weg bereitet habe.
Doch, doch!
Wir mögen es durchaus, das Feuilleton der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG... Obwohl oder gerade weil es sich oft so liest, als hätte der Zeitgeist Redaktionsverbot.
An diesem Samstag aber wollte sich die NZZ offenbar einmal so richtig affirmativ mit der grassierenden Sportbegeisterung der intellektuellen Stände gemeinmachen.
Unter der Überschrift "Phantomschmerzen einer götterfernen Zeit" behauptete der Schriftsteller Martin R. Dean bar jeder Ironie:
"Zwischen Fußball[-EM] und Olympischen Spielen bleibt nichts als die Leere langer Nachmittage."
Davon abgesehen, dass Dean noch nie etwas von der Tour de France gehört zu haben scheint, möchten wir bemerken: Über dem Sportgeschehen das Rasen der Weltgeschichte zu versäumen – oder auch nur kokett vorzugeben, es zu versäumen –, diese irgendwie infantile Attitüde hat uns noch nie überzeugt, so sehr wir Deans Leidenschaft grundsätzlich teilen…
Und umso deplatzierter erschien uns der NZZ-Artikel. Denn es ist ja weiß Gott genug los, um mehr als nur die "Leere langer Nachmittage" reflektierend auszufüllen.
Fangen wir also damit an!

Dostojewski schwärmt für einen Mörder

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG erklärte Willi Winkler, "wie die Literatur dem Terror den Weg bereitet hat" und zitierte das "Zweite surrealistische Manifest" von André Breton:
"Die einfachste surrealistische Handlung besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings soviel wie möglich in die Menge zu schießen."
Für den SZ-Autor Winkler ist Bretons surrealistischer Schießbefehl beileibe kein Einzelfall:
"Die Literatur, die Kunst insgesamt, schwärmt seit Fjodor Dostojewski für den Mörder, der damit zum modernen Heiligen wird. Wenn Mick Jagger in 'Sympathy for the devil' während der kurzen satanischen Phase der Rolling Stones als Teufel die Verantwortung für alle Untaten des 20. Jahrhunderts […] übernimmt, verschwindet das unfassbar Böse für einen Moment in der Fiktion, aber beiläufig erklärt er eben auch, dass alle Polizisten kriminell seien, und all the sinners saints, alle Sünder Heilige."
Wenn auch sonst in vielem nicht… In puncto Mordbegeisterung kann der Islamismus im Nahen Osten mit dem christlich-unchristlichen Westen locker mithalten.

Neueste Mode des Mordens

"Wer im Namen des IS mordet, bekommt, wenn er seine Sache besonders gründlich gemacht hat, den Ehrentitel 'Inghimasi'",
hieß es in der FRANKRURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
Wie Joseph Croitoru erläuterte, verweist die Terrormiliz IS seit einiger Zeit mit Vorliebe auf frühislamische "Superkämpfer", um etwaige Selbstmordattentäter zu besonderer Effizienz anzustacheln…
Eine unheilvolle Masche, die laut Croitoru verfängt.
"[Der Attentäter von Nizza] Lahouaiej-Bouhlel soll sich im Internet außer für islamistische Gewaltvideos insbesondere für den afghanischstämmigen Massenmörder Omar Mateen interessiert haben, der am 12. Juni fast 50 Besucher eines Schwulenclubs im amerikanischen Orlando erschossen hatte. Mateen war 'tief' in das 'Feindeslager' eingedrungen, das für Lahouaiej-Bouhlel die große Menschenmenge war, die sich an der Promenade von Nizza versammelt hatte, um den Nationalfeiertag des laizistischen französischen Staates zu begehen, dessen Bürger er nicht war […]. Auf der langen Strandpromenade hätte eine punktuelle Selbstsprengung überschaubare Wirkung gehabt, Lahouaiej-Bouhlels Strategie erwies sich jedoch als weit tödlicher."
So der FAZ-Autor Croitoru zur neuesten Mord-Mode im Dschihad.
Tja! Und nun behauptet in den USA ein gewisser Donald Trump, er werde als US-Präsident mit allem möglichen aufräumen, nicht zuletzt mit Terroristen...

Dicke, schwarze Frauen für Trump

Was die TAGESZEITUNG veranlasste, im Rahmen der Serie "Groupies" mit Lynnette Hardaway und Rochelle Richardson zu sprechen: beide schwarz, beide nach eigener Aussage "fett", beide leidenschaftliche Trump-Fans und Urheber der Kampagne "Women United 4 Trump".
"Er schürt keine Ängste [betonte Hardaway in der TAZ]. Er gibt uns Fakten und die Wahrheit – im Gegensatz zu den Medien."
Weil es nicht alle Tage vorkommt, dass die TAZ Trump-Schwärmern das Wort reicht, hier noch ein Hardaway-Bekenntnis:
"Was ich an ihm liebe ist, dass er nicht von seinen Positionen abweicht – genau wie wir. Er hört den Menschen zu. Er ist für die Menschen und nicht gegen sie. Das ist der Grund, warum er der 45. Präsident der Vereinigten Staaten wird."
Ob sich die Wochenzeitung DIE ZEIT auch ein solches – quasi links-subversiv über die rechte Bande gespieltes – Interview leisten könnte?
Wir wissen es nicht – wohl aber, dass DIE ZEIT mit dem US-amerikanischen Schriftsteller Martin Amis gesprochen hat. Amis bemerkte zu Trump:
"Seine politischen Veranstaltungen sind gemein, brutal, voll unterdrückter Gewalttätigkeit. Mein ältester Sohn war neulich bei einer Trump-Kundgebung, und er sagte, es liege der Geruch von Faschismus in der Luft."
Ob's Efendi Erdogan nun passt oder nicht: Der zitierte "Geruch von Faschismus" scheint uns nicht ungeeignet, um zum putsch-resistenten türkischen Präsidenten überzuleiten…

Die Welt steckt im Schlamassel

Wenn auch der Literaturwissenschaftler Nedim Gürsel in dem NZZ-Artikel "Ein Land auf dem Weg in den Abgrund" deutlich zurückhaltender vom "Teufelskreis des Autoritarismus" schrieb.
"Von jetzt an wird Erdogan beide Hände frei haben, um das autoritäre Präsidialsystem zu installieren, von dem er seit langem träumt. […] Die Zeichen für die Zukunft der Türkei stehen schlecht."
Eine Diagnose, der Caroline Fetscher im Blick auf die Frauenfrage widersprechen würde.
Unter dem Titel "Männerdämmerung" meinte Fetscher im BERLINER TAGESSPIEGEL:
"Der Putsch ist gescheitert, das Patriachat triumphiert […]. Aber die Emanzipation in der [Türkei] wird nicht aufzuhalten sein."
Die Welt, keine Frage, steckt insgesamt mal wieder dort, wo sie eigentlich immer steckt – im Schlamassel.
Trotzdem und umso mehr wünschen wir Ihnen, liebe Hörer, dass Sie sich an diesem Sonntag wenigstens für ein paar Minuten wie jenes Kind fühlen, das in der SZ Überschrift wurde…
Nämlich wie ein "Kind der Sonne".
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