Aus den Feuilletons

"Joker" spaltet Filmkritik

04:21 Minuten
Der "Joker" im gleichnamigen Film schminkt sich und weint dabei.
Joaquin Phoenix als "Joker" im gleichnamigen Film, der mit dem Goldenen Löwen in Venedig ausgezeichnet wurde. © imago images / Prod.DB
Von Tobias Wenzel · 08.10.2019
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Der Film "Joker" von Regisseur Todd Phillips kommt in die Kinos und die Feuilletons lieben oder verteufeln ihn. "Ist diese Figur im aktuellen gesellschaftlichen Klima eine Zumutung?", fragt zum Beispiel die "taz".
Zweimal Lagerbildung: Ein Film wird genauso bewundert und verteufelt wie Greta und ihr Klimaaktivismus. Die Feuilletons fasziniert das.
"Ist diese Figur im aktuellen gesellschaftlichen Klima eine Zumutung?", fragt die "taz". "Wie gefährlich ist dieser Film?", will die "Süddeutsche Zeitung" wissen. Die Rede ist von "Joker", der an diesem Donnerstag in die deutschen Kinos kommt. "Ein Meisterwerk, schreiben die einen; die Glorifizierung eines Massenmörders, die anderen", berichtet wiederum David Steinitz in der SZ über "Leitartikel- und Twitterschlachten" in den USA.
Ein psychisch kranker Mann wünscht sich, dass die Menschen über ihn lachen, erfährt aber nur Spott und mordet schließlich. Joaquin Phoenix habe mit dieser Rolle "die Performance seiner Karriere hingelegt", schreibt Steinitz. Und weiter: "Dass der Wahnsinn des Jokers in der hypersensiblen Debatte um Waffengewalt in den USA, wo sich ein echtes Massaker ans nächste reiht, bei Hinterbliebenen wie denen des Aurora-Attentats trotzdem nicht gut ankommt, ist logisch." Auch dass sie sich über das Geldmachen mit Gewaltdarstellungen beschweren würden. Es treffe aber den falschen Film.

Ein "absurder" Bösewicht

"Der Joker ist eine Figur, die nie realistisch wirken könnte", versucht sich Hannes Stein in der "Welt" an einer Erklärung. "Vielleicht wirkte dieser absurde Bösewicht gerade darum in jeder Epoche wie ein Abbild genau jener Art von Chaos, die die Gesellschaft am meisten fürchtet." Andreas Busche knöpft sich im "Tagesspiegel" den Regisseur Todd Phillips vor, allerdings wegen eines Musiktitels im Film: "Phillips hat mit der Provokation, den Song eines pädophilen Rockstars in einen Hollywood-Film zu schmuggeln, die Grenzen des schlechten Geschmacks verschoben." Gemeint ist das Lied "Rock'n'Roll, Part 2" von Gary Glitter, der "wegen versuchten Vergewaltigungen und Sex mit einer Minderjährigen" zu einer langen Haftstrafe verurteilt wurde.
Auf die Idee, dass das Kunstwerk, also das Lied, dadurch nicht schlechter wird, kommt Busche nicht. Er paraphrasiert stattdessen, was der Regisseur in einem Interview gesagt hat: Sein Film sei ein "'Fuck you!' an alle Moralapostel". Für einen solchen würde Regisseur Phillips vielleicht auch den Journalisten Busche halten.

Kampf um kollektive Selbsterhaltung

"Anders als klassische linke Bewegungen schließen wir niemanden aus, auch jemand, der ein bisschen sexistisch oder rassistisch denkt, kann bei uns mitmachen", sagt einer der Gründer von Extinction Rebellion im Gespräch mit der "Zeit", was wiederum die "taz" zitiert. "Tatsächlich geht es beim Kampf gegen die menschengemachte Erderwärmung um nichts Geringeres als um kollektive Selbsterhaltung gegen kollektive Selbstzerstörung", schreibt Andreas Zielcke in der SZ. "Und das kann nur der kollektive Akteur leisten, der Staat. Nur er kann mit vollem Recht der Gesellschaft und eben auch dem Markt in den Arm fallen." Der Staat müsse den Markt wie "einen Tiger zähmen" und ihm zugleich "freien Lauf lassen", so paradox das auch klinge.

Greta-Anhänger in Frankreich

Nicht nur der französische Staat, "Frankreich schmollt", hieß es in der "Libération", als Greta beim New Yorker Klima-Gipfel nicht nur Brasilien, sondern auch Frankreich Verrat vorgeworfen hatte. Das berichtet Jürg Altwegg in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Die Debatten über Greta verliefen nach dem Prinzip "Verklären und Kreuzigen", analysiert der Journalist und ergänzt: "Der oberste Mäzen des Palais de Tokyo hat einen Aufruf zu ihrer Ermordung erlassen: 'Ich hoffe, dass ein Verrückter sie abknallt.'" Statt mit diesem menschenverachtenden Satz zu enden, schnell noch einen harmloseren zu Emmanuel Macron: "Um gegen das 'Blabla des Präsidenten' zu protestieren, entwenden Öko-Aktivisten seit Anfang des Jahres dessen Porträt aus den Rathäusern – bisher 128."
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