Journalisten ohne Empathie
Eine Frau, die es über die türkisch-syrische Grenze geschafft hat, und weint, wird dabei reichlich unsensibel gefilmt. Cigdem Aykol schildert in der "Taz", wie Journalisten die Geflüchteten geradezu überfallen, um an dramatische Bilder zu kommen.
"Gerade erst hat die Kurdin die Grenze zwischen Krieg und Frieden überquert. Jetzt sitzt sie auf einem weißen Sack, in dem ihr Hab und Gut einpackt ist“, schreibt Cigdem Aykol in der TAZ.
"Sie hat es geschafft, dem Tod zu entkommen. Sie weint, hält sich ihr Kopftuch vors Gesicht, sie schämt sich. Einem Kameramann ist das egal: Er hält sein großes Objektiv direkt auf das Gesicht der Frau, natürlich hat er vorher nicht gefragt. Sie dreht sich weg, der Kameramann lässt sich nicht abhalten, er folgt ihr, rückt immer näher heran. Ein zweiter Kameramann macht es ihm nach.“
Journalistisches Ethos? An der türkisch-syrischen Grenze? Da könnten Journalisten "so aufdringlich und unsensibel" sein, wie sie wollten, bei ihrer Suche nach dramatischen Bildern, schreibt Cigdem Aykol und schildert dem Leser noch eine weitere schockierende Beobachtung, nun über drei schwer verletzte syrische Kinder:
"Eines der Kinder muss mit einem Krankenwagen weggefahren werden, doch die Sanitäter haben Schwierigkeiten, das Kind durch die Pressegruppe hindurch zu bekommen. Nach wertvollen Minuten schaffen sie es doch, das Kind in das Auto zu legen, aber die Journalisten drängeln immer weiter, die Mutter des Kindes schreit. Dann endlich gelingt es, die Tür des Wagens zuzuschieben. Doch ein Kameramann reißt die Tür wieder auf, er will das Kind filmen.“
"Echte Trauerarbeit"
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG schreibt Christine Dössel über die Uraufführung von Elfriede Jelineks Stück "Das schweigende Mädchen“, in der Inszenierung von Johan Simons an den Münchner Kammerspielen:
"Dieser Theaterabend schöpft […] Kraft aus seiner Zartheit, seiner Menschlichkeit, seiner Ruhe. Aus seiner Vergegenwärtigung des Todes – und der Toten. Was hier geleistet wird, ist echte Trauerarbeit. Einer muss das ja mal tun."
Jelinek hat den NSU-Prozess in dem ihr eigenen Redeschwall verarbeitet. Der Titel "Das schweigende Mädchen" spielt auf Beate Zschäpe an. In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG urteilt Barbara Villiger Heilig:
"Ein großes Stück."
"Das Stück ist kein Stück", meint dagegen Gerhard Stadelmaier; vielmehr sei es "ein unsäglicher Schmarrn", "ein ungeheurer, pausenloser Wortdurchfall". Seine Meinung begründet der Theaterkritiker der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG in einem ungeheuren, pausenlosen Wortschwall. Ein winziger Auszug daraus:
"Die Banalität der Bösen kriegt bei ihr [Elfriede Jelinek] die große Bibelsegnung, die wohl sehr kritisch und sarkastisch gemeint ist, aber voll in die Entlarvungshose geht, die in München in diesen Tagen naturgemäß eine Lederhose ist.“
(Stadelmaier, Gerhard: "So aber spricht der Herr: Es ist ein Schmarrn". In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ausgabe vom 29.9.2014, S. 12.)
Fetisch Fußnote
Die Fußnote, zumal mit Seitenangabe des zitierten Werks, sei in unserer modernen Welt ein "Element des Fetischismus“, behauptet der britische Schriftsteller Tim Parks in seinem Blog auf den Seiten der "New York Review of Books". Darüber wiederum berichtet Niklas Hofmann in der SZ. Wozu noch ein Buchzitat genau nachweisen, wenn man es doch leicht bei Google Books oder beim Projekt Gutenberg online recherchieren kann?
Exakte Belege in Fußnoten spiegeln laut Parks, wenn er das ernst meinen sollte – und da ist sich der SZ-Autor nicht ganz sicher –, eine "korinthenkackerische Anhänglichkeit an ein veraltetes Prozedere" wider. Die ausführliche Fußnote ist für Parks "ein Unkraut". Tim Lacy, ein Medizinhistoriker, widerspricht Parks in dessen Blog. Fußnoten seien für ihn, Lacy, vielmehr ein geistiger "Löwenzahn". Daraus lasse sich ein "nahrhafter Salat" machen.