Aus den Feuilletons

Kabelbinder und Auspeitschcreme

Filmplakat zur Premiere von "Fifty Shades of Grey" in Berlin
Filmplakat zur Premiere von "Fifty Shades of Grey" in Berlin © dpa / picture alliance / Felix Hörhager
Von Ulrike Timm |
Die Weltpremiere des SM-Thrillers "Fifty Shades of Grey" in Berlin nützt Baumärkten und Erotikshops. Viele Filmfans rund um den Potsdamer Platz lassen ihr Geld allerdings eher in einer Apotheke, beobachtet die "Neue Zürcher Zeitung".
Endlich schließt Christian Grey auch im Film sein Spielzimmer auf und geht in den Baumarkt, um Kabelbinder zu kaufen. Nach Monaten des dominanten Schweigens, in denen nichts zu "Fifty Shades of Grey" verlautbarte, hat die sadomasochistische Sexstory jetzt Weltpremiere, bei der Berlinale, im Zoo-Palast, also im Bahnhofsviertel schräg gegenüber von Beate Uhse. Special Gala. Ab übermorgen dann überall.
Jens Balzer von der BERLINER ZEITUNG will erfahren haben, dass die seit Tagen gemeldeten sensationellen Vorverkaufszahlen für Kinokarten im amerikanischen Bible Belt besonders hoch seien, Chattanooga/Tennessee und Tupelo/Mississippi seien in besonders heißer Erwartung, "in Deutschland wiederum meldet die katholische Bischofsstadt Osnabrück besonderes SM-Interesse." Die BERLINER ZEITUNG hatte Vergnügen am Formulieren der Vorfreude und empfiehlt für den besonderen Genuss "eine kleine Dose Auspeitschcreme".
Wenn die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG schreibt "Hochstimmung am Potsdamer Platz", dann bezieht sie sich auch auf die dortige Apotheke, die beste Geschäfte macht.
"Tütenweise decken sich verschnupfte und hustende Festivalgäste dort mit allerlei Präparaten ein, und die Gesunden tun es ihnen gleich aus Gründen der Prophylaxe. Gestern eisig, heute regnerisch – es ist Berlinale-Zeit. Hauptsaison der Pharmabranche."
Vielleicht kam Kollege Balzer ja dort auch auf sein empfohlenes Spezialpräparat, die Auspeitschcreme ...
Und die Wettbewerbsfilme, jenseits von Special Galas und Fifty Shades of Grey? Erste Zwischenbilanzen, Andreas Kilb sieht in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG "reumütige Männer auf Sinnsuche, das ist ein Grundthema", "den Frauen in den Filmen der Berlinale dagegen scheint keine Gefahr zu groß, kein Wind zu widrig, um ihm nicht die tadellos gepflegte Stirn zu bieten."

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Lest Kant!
Und sonst? Nicht viel, aber Streitbares. In Bewunderung dafür, dass die Franzosen mit Voltaires "Abhandlung über die Toleranz" seit den Anschlägen von Paris eine 250 Jahre alte Streitschrift wieder höchst lebhaft diskutieren, fordert Jacques Schuster in der WELT:
"Kant lesen!"
Er zitiert den Satz des Aufklärers:
"Wage es, frei zu sein, und achte und beschütze die Freiheit aller anderen."
Und er fragt:
"Können die Islamverbände, ihre politischen und religiösen Führer diesen Satz unterschreiben?"
Der WELT-Autor hört innerlich ein Nein und pfeffert hinterher:
"Der Islam gehört nicht zur offenen Gesellschaft. Es ist an ihm, ein Teil von ihr zu werden. Wir warten! In zunehmender Ungeduld."
Rumms.
"Der Islam gehört zur Museumsinsel"
Helmut Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, denkt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG über ähnliche Fragen ungleich diplomatischer nach und macht schon mal Werbung für eine kommende Ausstellung, die "das Zusammenleben und die Durchdringung der drei Weltreligionen Islam, Judentum und Christentum in Ägypten beschreibt", sein Fazit:
"Der Islam gehört zur Museumsinsel."
Dagegen ist die Welt von "Fifty Shades of Grey" echt übersichtlich, von Berlin über Chattanooga bis Osnabrück. Baumarktboom durch Sadomaso-Erotikthriller? Die Verkäufer der britischen Baumarktkette B&Q sollen jedenfalls hinsichtlich vermehrter Kundenanfragen nach Kabelbinder, Seil und Klebeband "sensibel vorbereitet" sein ...
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