Aus den Feuilletons

Kegelverein-Karaoke statt europäischer Vision

04:15 Minuten
Madonna und Tänzer während ihres Auftritts beim Eurovision Song Contest. Der Tänzer und die Tänzerin tragen auf dem Rücken eine israelische und eine Palästinensische Flagge.
Madonna und Tänzer während ihres Auftritts beim Eurovision Song Contest © Orit Pnini/KAN/dpa
Von Arno Orzessek |
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Der Eurovision Song Contest in Tel Aviv lädt die Feuilletons zu Spott ein. Insbesondere Madonnas Gastauftritt liefert Munition: „Es klang wie beim Karaoke-Abend des Kegelvereins“, höhnt die „Welt“.
"Pomp, lass nach", fleht in großen Lettern die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, in der Hans Hoff im Rückblick auf den Eurovision Song Contest in Tel Aviv vieles zu bekritteln hat – nicht jedoch den Sieger.
"Der Niederländer Duncan Laurence hat den ESC verdient gewonnen mit einem eher leisen, einem unspektakulären Song, der sich vielem verweigerte, was beim Wettbewerb der Nationen eigentlich als unabdingbar gilt. Er sang in seiner Ballade Arcade von der Sehnsucht nach einer verlorenen Liebe. Kein stroboskopisches Lichtspektakel, kein Outfit wie aus dem Kostümverleih. Ein Mann, ein Klavier, und ruhiger, konzentrierter Gesang."
Gefällt uns gut, dieser schlichte Satz von SZ-Autor Hans Hoff: "Ein Mann, ein Klavier, und ruhiger, konzentrierter Gesang."
"Hochfliegende Erwartungen, niederschmetternde Songs" – so fasst der Berliner TAGESSPIEGEL die lange Nacht von Tel Aviv zusammen.
"Richtig schlecht zu sein, ist schon wieder eine eigene Qualität", spottet Christian Schröder. "Nur sieben der 26 Finalteilnehmer sangen in ihrer Nationalsprache, alle andere versuchten sich, oft mit mäßigen Erfolg, auf Englisch. Mitten in einem europäischen Wahlkampf, in dem wieder einmal die kulturelle Vielfalt des Kontinents beschworen wird, wirkt das mutlos. Überhaupt fehlte dem ESC diesmal der gewisse Irrsinn."

Madonna singt schief

Keine Sorge, wir haben nicht vor, Ihnen sämtliche ESC-Besprechungen vorzutragen. Doch die Boshaftigkeit, mit der Holger Kreitling in der Tageszeitung DIE WELT den Gastauftritt von Madonna niedermacht, die wollen wir noch zu Gehör bringen.
"Madonna war unverkennbar live zu hören. Die Stimme halb gebremst, die Töne schief und falsch, immer ein bisschen daneben und ziemlich unpassend. Es klang wie beim Karaoke-Abend des Kegelvereins, nachdem erschöpfend viele Kleine Feiglinge verzehrt wurden. Leik a Präjer.
Madonna stand da wie angewurzelt in ihrem albernen Kostüm. Sie tanzte nicht, nur ab und an ein kraftloser Schritt, als fiele ihr jede Bewegung schwer. Kurz: Eine 60-Jährige wirkte, als sei sie über 70. Am Ende stand Madonna an einer Treppe und kippte steif nach hinten weg in den Abgrund. Aus. Verschwunden. Der ESC hat ja schon manche Karriere ruiniert, aber noch nie die eines Ex-Superstars. Prayers for Madonna."
Lästert Holger Kreitling.
Und wir fragen uns, ob der WELT feministische Leserbriefe ins Haus flattern werden, die den Autor wegen Diskriminierung alter weißer Frauen angreifen.

Wer wusste von dem Ibiza-Video?

Jetzt aber der versprochene Themenwechsel.
"Zugekokst auf Ibiza" titelt die FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und fragt in der Unterzeile: "Wer steckt hinter dem FPÖ-Video, wer wusste davon?"
Dass Michael Hanfeld die Hintermänner auf keinen Fall kennt, das begreift man indessen noch vor der Lektüre des Artikels. Denn andernfalls würde er nicht auf der Medien-, sondern auf der Titelseite der FAZ erscheinen. Immerhin weiß Hanfeld, wer von dem Video schon vorab gewusst hat.
"Im April, als dem ZDF-Satiriker Jan Böhmermann der österreichische Fernsehpreis Romy verliehen wurde, hatte er gesagt, er könne den Preis nicht persönlich entgegennehmen, weil er ‚gerade ziemlich zugekokst und Red-Bull-betankt mit ein paar FPÖ-Geschäftsfreunden in einer russischen Oligarchen-Villa auf Ibiza rumhänge‘. Er verhandele, wie er die ‚Kronen Zeitung‘ übernehmen könne, dürfe aber nicht darüber reden. In seiner Sendung ‚Neo Magazin Royale‘ hatte Böhmermann am vergangenen Donnerstag gesagt: ‚Kann sein, dass morgen Österreich brennt.‘ Böhmermann kannte das Video also."
Tja, ob sich dieser Umstand in der Sache Strache noch als bedeutsam entpuppt oder ein popeliger Nebenschauplatz bleibt, sei dahingestellt. Fest steht: Schon wieder hat sich Böhmermann seine Lieblingsdroge beschafft – unsere Aufmerksamkeit.
Derweil berichtet die SZ, dass der Schriftsteller Robert Menasse in Potsdam erläutert hat, wie er eine Novelle über die Ereignisse rund ums FPÖ-Video anlegen würde. Dabei legte sich Menasse auch auf den Strippenzieher fest – und zwar auf Österreichs Kanzler Kurz.
Ob sich das als hellseherisch erweist? Man wird sehen! So oder so wünschen wir Ihnen eine angenehme Woche!
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